DANIEL FOPPA

Ukaine

Weshalb uns niemand mehr versteht

Das Verhalten der Schweiz angesichts internationaler Kriege und Krisen irritiert zunehmend. Wegducken und auf gute Dienste verweisen genügt in einer globalisierten Welt nicht mehr.
NZZ am Sonntag, 26. Februar 2023

Daniel Foppa

Die Bilder sind ein Schlag ins Gesicht der iranischen Freiheitsbewegung: Nadine Olivieri Lozano, Schweizer Botschafterin in Iran, besuchte diese Woche in einen Tschador gehüllt und in Begleitung iranischer Geistlicher einen Schrein in der Klerikerstadt Qom. Während das Mullah-Regime die Proteste niederschlägt, weiss die Schweizer Botschafterin nichts Besseres zu tun, als Vertretern des Regimes die Reverenz zu erweisen.

Bern versuchte zwar, die Wogen zu glätten: Die Botschafterin habe die religiöse Stätte bloss am Rande eines offiziellen Termins besichtigt und sich an die Kleidervorschriften gehalten. Doch der Schaden war angerichtet, weltweit hagelte es Kritik. Der Fehltritt ist umso erstaunlicher, als das Aussendepartement zahlreiche PR-Strategen beschäftigt, denen die Sprengkraft solcher Bilder bewusst sein muss. Kommt hinzu, dass die Schweiz bereits vor zwei Wochen für Unverständnis gesorgt hatte, als Bundespräsident Alain Berset Teheran mit einem Glückwunschtelegramm zum Jahrestag der islamischen Revolution gratulierte.

Unverständnis – das ist es, was der Schweiz derzeit international entgegenschlägt. Unverständnis über die Anbiederung bei
den Mullahs und Unverständnis darüber, dass die Schweiz die Weitergabe von Waffen an die Ukraine untersagt. Die Irritation ist verständlich: Unser Land ist schlecht darauf vorbereitet, auf Kriege und Konflikte dieses Ausmasses adäquat zu reagieren. Die alte Maxime, mit Verweis auf die Neutralität eine möglichst indifferente Haltung einzunehmen, verfängt nicht mehr. Zu vernetzt ist die Welt, zu sehr ist die Schweiz Teil von ihr, und

zu stark hat sich unser Land dem Völkerrecht verpflichtet, als dass dessen Bruch mit gewohnter Zurückhaltung hingenommen werden könnte.

Nun mag man einwenden, dass sich die Schweiz durchaus bewegt. Tatsächlich trägt unser Land die Sanktionen gegen Russland mit, bietet über 75000 ukrainischen Flüchtlingen Schutz und organisierte eine Konferenz zum Wiederaufbau des Landes. Vor allem die private Hilfs- und Spendenbereitschaft ist enorm. Die Haltung der offiziellen Schweiz hingegen kam mit Mühe zustande. So war die Pressekonferenz des Bundesrats am Tag nach der russischen Invasion ein kommunikatives Desaster: Niemand wusste danach, ob und wie die Schweiz die Sanktionen mitträgt. Und auch die Suche nach russischen Oligarchengeldern verläuft schleppend, während die Schweiz bei der zivilen Hilfe an die Ukraine gemessen an der Wirtschaftskraft eher bescheiden abschneidet. Am meisten zu reden gibt jedoch die Zurückhaltung bei den Waffenlieferungen.

Bundesräte weisen im Ausland zwar immer wieder darauf hin, dass die gegenwärtige Gesetzeslage eine Weitergabe
von Schweizer Waffen an die Ukraine nicht zulasse. Trotzdem tendiert das Verständnis für diese Haltung ausserhalb russlandfreundlicher oder pazifistischer Kreise gegen null. Vielmehr fühlt man sich an vergangene Zeiten erinnert, als die

Schweiz wegen der nachrichtenlosen Vermögen am Pranger stand.

Internationale Beliebtheitswerte sind nicht unbedingt ein Gradmesser für eine erfolgreiche Aussenpolitik. Aber wenn ein auf gutes Einvernehmen mit seinen Partnern angewiesener Kleinstaat derart auf Unverständnis stösst, sollte das zu
denken geben. Und selbst ohne Druck aus dem Ausland
muss sich die Schweiz fragen, wie es mit den eigenen Werten vereinbar ist, einem angegriffenen europäischen Staat Waffen zur Selbstverteidigung vorzuenthalten. Umso erfreulicher
ist es, dass im Parlament eine Koalition der Vernunft nun
einen Kompromissvorschlag vorlegt: Künftig sollen Waffen unter bestimmten Bedingungen an Länder wie die Ukraine weitergegeben werden dürfen. Ob die Räte der Idee zustimmen, ist indes offen. SVP und Grüne lehnen den Vorschlag aus ideologischen Gründen ab.

Das Gezerre um die Waffenlieferungen und das Versagen
der Regierung zu Kriegsbeginn zeigen: Die Schweiz muss sich besser auf künftige globale Krisen vorbereiten – mit einem tauglicheren Krisenmanagement durch den Bundesrat und einer Schärfung der Neutralitätspolitik. Dabei kann die Schweiz ihre grundsätzlich zurückhaltende Rolle als vermittelnder Kleinstaat nicht ablegen – und das ist gut so. Aber sie kann mehr tun als bisher. Unser Land muss sich jetzt einen Plan zurechtlegen, wie es im Falle einer nächsten Völkerrechtsverletzung durch einen Aggressor vorgeht. Konkret heisst das: eine Sanktionspolitik,
die von Beginn an präzisere Entscheide ermöglicht, als es beim Ukraine-Krieg der Fall war; ein klar festgelegtes Vorgehen bei Bund und Kantonen, um Geldflüsse zur Kriegsfinanzierung zu unterbinden; eine Gesetzesrevision, die angegriffenen Staaten die Selbstverteidigung auch mit Schweizer Waffen ermöglicht. Und ein auf allen Stufen kohärenteres Verhalten gegenüber Freiheitsbewegungen in Unrechtsstaaten. Umfragen zeigen, dass ein solcher Kurs von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird, auch wenn die SVP mit ihrer Neutralitätsinitiative das Gegenteil erreichen will.

Ohne Vorkehrungen für ein stärkeres Engagement bei der Verteidigung der freiheitlichen Werteordnung wird das Unverständnis gegenüber der Schweiz jedoch weiter zunehmen. Denn ein Land, das die Neutralität selbst dann zur Maxime erklärt, wenn sie dem Verbrechen gilt, kann nicht unbegrenzt auf die Solidarität ihrer Partner zählen.

Ein Land, das die Neutralität selbst dann zur Maxime erklärt, wenn sie dem Verbrechen gilt, kann nicht unbegrenzt auf die Solidarität ihrer Partner zählen.

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