DANIEL FOPPA

Reformkraft dringend gesucht

Reformkraft dringend gesucht

Wer schafft es, Lösungen zu präsentieren? Die Bilanz der Legislatur ist ernüchternd. Nun müssen die Parteien neue Strategien für das Wahljahr 2019 entwerfen.
Newsnetz, 11. Mai 2018

Daniel Foppa

Nein, diese Bilanz kann sich nicht sehen lassen: Zwei der drei Hauptvorlagen der Legislatur sind an der Urne gescheitert. Das Volk versenkte die Unternehmenssteuerreform III wie auch die Rentenreform. Nur die Energiestrategie fand eine Mehrheit. Zur schlechten Bilanz kommt nun ungünstiges Timing: Die Steuervorlage 17, die Neuauflage der Fiskalreform, gelangt im Herbst ins Parlament. Und Ende Jahr liegt die Botschaft zur neuen AHV-Reform vor. Damit sind beide Vorlagen in Gefahr, zum Spielball der Parteien zu werden. Denn der Wahltag vom 20. Oktober 2019 rückt näher.

Abgesehen von diesen Grossreformen stehen zwei weitere Themen im Fokus, bei denen es nicht einfach weitergehen kann wie bisher: die Gesundheitspolitik und die Beziehung zur EU. Die stetig steigenden Krankenkassenprämien stehen seit längerem weit oben auf dem Sorgenbarometer. Die CVP hat das Thema mit ihrer Volksinitiative für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen aufgegriffen, die anderen Parteien folgen. In der Europapolitik scheinen sich Bern und Brüssel beim Rahmenabkommen anzunähern. Doch das Verhältnis bleibt fragil: Mit den Debatten um die flankierenden Massnahmen, die Ostmilliarde, die SVP-Kündigungsinitiative oder das Waffenrecht-Referendum ist Europa ein prägendes Wahlkampfthema.

Aussitzen ist keine Lösung

Steuerreform, AHV, Gesundheitswesen und Europa – den vier Bereichen ist eines gemeinsam: Wenn der Reformstau weiter anhält, hat das zwangsweise negative Folgen. Scheitert auch die Neuauflage der Steuerreform, sind Gegenmassnahmen des Auslands und ein Wegzug von Firmen zu befürchten. Ein erneuter Absturz der Rentenreform brächte die Altersvorsorge näher an den finanziellen Kollaps, und ein ungebremstes Prämienwachstum ist für die Haushalte nicht tragbar. Werden schliesslich die institutionellen Fragen mit der EU nicht gelöst, drohen Rechtsunsicherheit und wirtschaftliche Nachteile. In der Öffentlichkeit fehlt das Bewusstsein noch zu stark, dass Aussitzen keine Lösung ist.

Kompromissloser denn je

In diesen Wochen entwerfen die Parteien ihre Strategien für das Wahljahr. Sie tun es im Wissen, dass Problembewirtschaftung und Maximalforderungen derzeit von den Wählern stark honoriert werden. Europaweit haben Populisten und Quereinsteiger mit fehlendem politischem Realitätssinn Erfolg, während die Wählerbasis der traditionellen Parteien erodiert. Der sachliche politische Diskurs bleibt oft auf der Strecke.

Nun lässt sich dieser Trend nicht einfach auf die Schweiz übertragen, wo der Bürger regelmässig über Sachfragen abstimmt. Das hat eine mässigende Wirkung auf das Wahlverhalten, weshalb auch 2019 keine tektonischen Verschiebungen im Parteiengefüge zu erwarten sind. Befragungen von GFS Bern zeigen jedoch, dass die Anhänger der Polparteien SVP und SP seit 1999 mit jeder Wahl auf der Rechts-links-Skala noch stärker zu den Rändern gerückt sind. Entsprechend politisieren die Parteien: Bei der SP dominiert der linke Flügel. Die Partei punktet mit ihrer Politik der Versprechungen vermehrt auch in den Agglomerationen und dürfte bei den Wahlen zulegen. Der SP-Reformflügel ist derweil in der Bedeutungslosigkeit versunken. Die SVP ihrerseits ist kompromissloser denn je: Mit der Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit hat sie eine ihrer radikalsten Initiativen lanciert. Und die A-priori-Absage an jede Lösungssuche mit Brüssel zeigt, dass sie sich um ihre Rolle als Regierungspartei foutiert.

In keinem anderen Land Europas sind die Unterschiede zwischen den beiden grössten Parteien so ausgeprägt wie in der Schweiz. Kommt hinzu, dass die Kräfte in der Mitte schwinden: CVP und BDP haben die Chance für eine Fusion verpasst und befinden sich in einer Abwärtsspirale. Das ist bedauerlich, gehören doch beide zu den Parteien, die etwa in der Energie- und Sozialpolitik tragfähige Kompromisse anstreben. Die GLP zählt ebenfalls zu dieser Kategorie, hat es bisher aber nicht geschafft, ihr Potenzial auszuschöpfen. Auch für sie wird 2019 entscheidend: Verharrt die Partei im 5-Prozent-Bereich, wird sie den Sprung zur Volkspartei kaum je schaffen.

Damit fällt der Blick auf die FDP. Die Partei ist die Siegerin der kantonalen Wahlen seit 2015. Hält der Trend an, könnte der Freisinn nach den nationalen Wahlen fast gleich stark sein wie die vereinte Mitte aus CVP, BDP und GLP. Angesichts der strukturkonservativen Polparteien SVP und SP ist es kein schlechtes Zeichen, wenn zwischen ihnen ein dritter, fortschrittlicher Pol erstarkt.

Die Chance des Freisinns

Dem Freisinn bietet sich die Chance, wieder verstärkt jene Rolle zu übernehmen, die er in den Gründerjahren des Bundesstaats spielte: die einer Partei, die der Eigenverantwortung und der Solidarität verpflichtet ist – und die Reformen durchsetzt. Dies entspricht der ursprünglichen DNA der FDP, zu der sie sich mal mehr, mal weniger bekannte. So wollte Parteipräsident Franz Steinegger Ende der 1990er-Jahre den Freisinn als «Reformpartei» positionieren. Doch er scheiterte mit illusorischen Visionen wie dem EU- und dem Nato-Beitritt bis 2007.

Die FDP sollte solche Fehler nicht wiederholen – auch nicht in die Gegenrichtung. Es mag zwar verlockend sein, die «bürgerliche Wende» weiter voranzutreiben und zusammen mit der SVP auch die Mehrheit im Ständerat anzustreben. Solchen Plänen sind jedoch Grenzen gesetzt, wie das Scheitern der Unternehmenssteuerreform zeigt. Ein homogener Bürgerblock hat zwar ein leichtes Spiel im Parlament. An der Urne drohte er jedoch von der Referendumskraft des linken Lagers abgestraft zu werden. Die Folge wäre eine Blockadepolitik. Um dies zu verhindern, braucht es eine dritte Kraft, die ihre Eigenständigkeit gegenüber beiden Polparteien bewahrt.

Der Standpunkt des anderen

Ein Jahr vor Beginn des Wahlkampfs steht das Land vor Problemen, deren Lösung keinen Aufschub duldet. Nötig wäre deshalb ein Wettbewerb der Ideen, nicht bloss ein Wettstreit der Parteien. Ob sich der Wahlkampf indes so entwickelt, ist fraglich. Stärker als früher werden sich die Parteien über soziale Medien direkt an die Bürger wenden. Sie tun dies mit individualisierter Wahlwerbung, die den Empfänger in seiner Ansicht bestärkt und die Distanz zum politischen Gegner betont. Die Folgen: Das parteiübergreifende Ringen um die besten Argumente wird vernachlässigt, das Verständnis für den Standpunkt des anderen nimmt ab.

Dieser Trend vereinfacht längerfristige Reformen nicht. Denn dazu braucht es die Bereitschaft, ein Stück weit von der unmittelbaren Befindlichkeit zu abstrahieren und sich auf grössere Zusammenhänge einzulassen. Die Herausforderung im Wahlkampf ist deshalb, die eigene Filterblase möglichst oft zu durchstossen. Und die Parteien daran zu messen, ob sich ihre Lösungsvorschläge am politisch Machbaren orientieren – oder nur am angepeilten Stimmengewinn.

SVP: Die taumelnden Riesen

Formstand
Das Schwächeln der einstigen Seriensiegerin SVP in den letzten zwei Jahren wird medial seit längerem intensiv diskutiert und analysiert. Fraglos verliefen in dieser Legislatur mehrere wichtige Volksabstimmungen (Durchsetzungsinitiative, Energiewende, Asylgesetz), Parlamentsdebatten (Umsetzung Masseneinwanderungsinitiative) und vor allem Kantons- und Gemeindewahlen nicht nach den Wünschen Christoph Blochers und seiner Getreuen. Allein im Kanton Zürich büsste die Rechtspartei seit 2014 insgesamt 25 von vormals 150 Sitzen in Lokalparlamenten ein. Zahlreiche Beobachter vermuten, die ehedem durchschlagende Wirkung des provo­kanten SVP-Stils habe sich abgenutzt. ­Zudem seien Ausländerthemen für die Wählerschaft derzeit nicht so wichtig. Das alles darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die SVP noch immer über den strukturell und finanziell schlagkräftigsten Parteiapparat der Schweiz verfügt. Auch sind trotz der Probleme Disziplin und Geschlossenheit gross: Rebellen oder Dissidenten haben sich bis jetzt nicht bemerkbar gemacht.

Personal
Die Ernennung des vor­maligen Fraktionschefs Adrian Amstutz zum Wahlkampfleiter lässt einen aggressiven, provokanten Auftritt erwarten. Amstutz bildet den Konterpart zu Parteipräsident Albert Rösti, dessen konzilianter Stil sich bislang nicht in Wahlerfolgen bezahlt machte. Partei-Übervater Christoph Blocher, wiewohl nicht mehr offizieller Funktionsträger, wird im Hintergrund weiterhin Einfluss nehmen – und womöglich erstmals auch seine Tochter Magdalena Martullo. Wahlkampfstrategie Gefragt nach den wichtigsten Wahlkampfthemen, nennt das SVP-Generalsekretariat an erster Stelle Anliegen für «Mittelstand und KMU»: Kampf gegen Bürokratie, Steuern, Kontrollen und Bussen. Wirtschaftsthemen könnten damit im Vergleich zu früheren SVP-Wahlkämpfen wieder wichtiger werden. Europa und Migration kommen aufgrund der politischen Aktualität 2019 aber wohl sowieso aufs Tapet. Ein «gewisses Wachstumspotenzial» verortet die SVP für sich vor allem in der Romandie.

Chancen
Traditionell profitiert die SVP davon, wenn Zuwanderung und Europa breit diskutiert werden. 2019 ist diesbezüglich mit einer geballten Ladung zu rechnen (Rahmenabkommen mit der EU, Selbstbestimmungs- und Kündigungsinitiative, Waffenrichtlinie). Insbesondere könnten sich auch kurzfristige Entwicklungen, etwa ein «Flüchtlingssommer» wie 2015, zugunsten der SVP auswirken.

Gefahren
In ihrer eigenen Analyse des aktuellen Formtiefs benennt die SVP-Zentrale bemerkenswert offen die «gesellschaftlichen Trends» und die «enorm gute Wirtschaftslage» als massgebliche Ursachen. Als Partei, die das Verhältnis zur EU neu aushandeln will, ist die SVP in der Tat auf Unzufriedene angewiesen, die den Status quo ablehnen – eine florierende Wirtschaft und hohe Lebensqualität sind diesem Ziel nicht förderlich. Auf technischer Ebene hat die SVP tendenziell mit dem Problem der Isolation zu kämpfen. Partner für Listenverbindungen zu finden, fällt ihr oft schwer. Relativierend ist aber anzumerken: Selbst wenn die SVP 2019 ein wenig verlieren sollte, dürfte realistischerweise doch keine Konkurrenzpartei in der Lage sein, sich zur stärksten Kraft im Land aufzuschwingen. Fabian Renz

SP: Die Alarmschlager

Formstand
Die Zeiten, in denen die Leaderin im linken Lager vor allem mit Flügelkämpfen von sich reden machte, sind längst vorbei: SP-intern herrscht Ruhe, und selbst die im letzten Jahr erfolgte Gründung einer «reformorientierten Plattform» durch ein sozialliberales Grüppchen nahm man im Partei-Mainstream eher achselzuckend denn nervös zur Kenntnis. Der derzeitige Familienfriede wird zweifellos begünstigt durch die jüngsten SP-Wahlerfolge in Kantonen und Gemeinden der Deutschschweiz. In der Romandie ist die Bilanz durchzogener.

Personal
Erstmals bestreitet die SP einen nationalen Wahlkampf mit einem Führungsduo aus der Romandie: Parteipräsident Christian Levrat kommt aus dem französischsprachigen Teil Freiburgs, Roger Nordmann, seit dieser Legislatur Fraktionschef im Bundeshaus, ist Waadtländer. Beide sprechen gut deutsch; trotzdem bleibt abzuwarten, inwieweit sich das lateinische Übergewicht in der Deutschschweiz allenfalls nachteilig auswirkt. Noch nicht bestimmt ist, wer den Wahlkampf organisatorisch leiten wird.

Wahlkampfstrategie
Die SP wird wie schon 2015 Sozial- und Wirtschaftspolitik ins Zentrum ihres Wahlkampfs rücken. In konstant alarmistischer Diktion prangert sie seit 2015 die Folgen des «Rechtsrutsches» im Nationalrat an («­Sozialabbau», «Steuergeschenke für Grossunternehmen», «Lohnungleichheit» usw.). Eine spezielle Note dürfte die Wahl 2019 dadurch erhalten, dass neben der CVP auch die SP diesmal auf Gesundheitspolitik setzt: Sie will noch in diesem Jahr ihre Prämienstoppinitiative lancieren (diese allerdings nicht als Wahlkampfvehikel verstanden wissen).

Chancen
Die linke Basis ist zurzeit gut mobilisierbar, wie sich auf lokaler Ebene zeigte; diesbezüglich kann die SP auch auf die aktuelle Schwäche der Rechten hoffen. Solange überdies die Zuwanderung vergleichsweise moderat bleibt, droht das für die SP gefährliche Migrationsthema auf dem Sorgenbarometer der Leute nicht allzu sehr nach oben zu klettern. Viele Politbeo­bachter und selbst SVP-Doyen Christoph Blocher sehen zudem Pendelbewegungen in den grossen politischen Trends – was nach den bürgerlichen Erfolgen 2015 diesmal die SP begünstigen würde.

Gefahren
Die grösste Gefahr für die SP ist womöglich eine wahlarithmetische. Bei den Wahlen 2015 war die SP neben der CVP grösste Nutzniesserin von Listenverbindungen. Wie der Politologe Daniel Bochsler errechnet hat, sind 8 der 43 sozialdemokratischen Nationalratssitze einzig auf Bündnisse mit den Grünen und kleineren Linksparteien zurückzuführen. Die SP profitierte von diesen Verbindungen deutlich mehr als ihre Partner – sollten Letztere 2019 eigene Wege gehen wollen, könnten mehrere SP-Positionen ins Wackeln geraten, (insbesondere in BE, BL, GE, SO, VD und ZH). Zu den erwähnten 8 Sitzen kommen noch 5 sogenannte Restmandate hinzu, die der SP nur durch Rundungsglück zufielen. Auch diese Sitze werden nicht einfach zu halten sein. Ein vielleicht noch grösseres Problem hat die SP im Ständerat, wo sie derzeit 12 Vertretungen stellt. Diesen historischen Höchststand zu verteidigen, wird der SP schwerfallen, weil eventuell mehr als die Hälfte ihrer Bis­herigen zurücktritt. Im Aargau zum Beispiel gilt ein linker Sitzverlust daher schon fast als sicher. Fabian Renz

FDP: Die Bastion der Optimisten

Formstand
Welch ein Unterschied zu 2015: Da erwartete alle Welt die Fortführung der seit Jahren anhaltenden freisinnigen Niederlagenserie – und dann legte die Partei um 1,3 Prozentpunkte beim Wähleranteil zu. Der Höhenflug hält bis heute an; in den kantonalen Wahlen seit 2015 steigerte die FDP ihren Wähleranteil um weitere 2,0 Prozentpunkte. Entsprechend sind für 2019 die Erwartungen hoch und die Ziele unbescheiden: Die FDP will laut Angaben der Parteispitze «die SP in Wählerprozenten überholen und zweitstärkste Kraft werden». Im Ständerat will sie zudem am meisten Sitze holen; schon heute liegt sie hier mit 13 Vertretungen an der Spitze – freilich zusammen mit der CVP. Gerüstet ist die FDP für diese Offensive gut, auch dank den in der Ära von Parteipräsident Philipp Müller modernisierten Strukturen.

Personal
Samuel Lanz war im Amt des Generalsekretärs ein Neuling, als die FDP den letzten nationalen Wahlkampf bestritt; dessen Organisation oblag Vizepräsident Vincenzo Pedrazzini. Mittlerweile ist Lanz vier Jahre dabei – und macht den Wahlkampf als dessen Manager nun zur Chefsache. Petra Gössi, als Parteipräsidentin zuständig für den Aussenauftritt, wirkt zwar weniger volksnah und etwas spröder denn ihr Vorgänger Müller. Geschult durch Podien und «Arena»-Auftritte, hat sie seit ihrer Wahl 2017 aber ihr Profil schärfen können. Dank einer vergleichsweise amtsjungen Delegation im Parlament dürfte die FDP in der Lage sein, viele Bisherige wieder zu nominieren.

Wahlkampfstrategie
Die FDP bereitet sich auf ein an Europathemen reich befrachtetes Wahljahr vor. Der Partei kann das durchaus zupasskommen: In vehementer Abgrenzung zur SVP, aber durchaus auch zur CVP von Gerhard Pfister exponierte sie sich zuletzt als diejenige bürgerliche Kraft, die vorbehaltlos für die Bilateralen eintritt. Einen eigenen Schwerpunkt will die FDP beim Thema Digitalisierung setzen. Man wolle «anders als andere Parteien deren Chancen thematisieren». Tendenziell ist das Bemühen erkennbar, ein optimistisch eingestelltes, weltläufiges Bürgertum zu umwerben, wie das zuletzt in den Städten gut gelang.

Chancen
Die FDP, Aufsteigerin der letzten Monate, hat das Momentum. Die anstehenden Debatten über das Rahmenabkommen mit der EU und die Selbstbestimmungsinitiative der SVP werden ihr Gelegenheit geben, die eigene Marke zu stärken. Einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft der FDP zweifelsohne auch ihre breite Verankerung: Als eine von wenigen Parteien ist sie sowohl in den Städten als auch in den Agglomerationen und ländlichen Regionen gut vertreten.

Gefahren
In der FDP-Wahlkampfzentrale sieht man die Mobilisierung der Sympathisanten als grösste Herausforderung. Echte Gefahr ginge für die FDP aber wohl vor allem von einem Konjunktureinbruch oder einem Migrationsschub aus: Globalisierungsskeptiker zur Rechten und Linken würden wohl in beachtlichem Ausmass mobilisiert. Sicher nicht zum Vorteil gereichte der FDP ein grösserer Skandal im Top-Management der Privatwirtschaft. Unter Philipp Müller war es zwar gelungen, sich vom Ruch der Bonzen-Copinage weitgehend zu befreien. Doch gibt es weiterhin keine zweite Partei, die so stark mit «der Wirtschaft» assoziiert wird. Fabian Renz

CVP: Die Übervertretenen

Formstand
Über 20 Sitze in Kantonsparlamenten seit 2015 eingebüsst, unerwartete Abgänge im Generalsekretariat, öffentlich ausgetragener Disput über den rechtskonservativen Kurs von Parteichef Gerhard Pfister: Die Herausforderungen für die CVP im Wahlkampf sind immens. Etwas Hoffnung schöpft man in der Parteizentrale aus den Wahlergebnissen in Neuenburg, Solothurn und Genf. Auch wenn die Negativbilanz damit nicht wettgemacht wird, wirkten die dortigen Siege doch der Gefahr der völligen Demoralisierung entgegen. Letztes Wochenende erst folgte aber ein neuer Dämpfer mit der Abwahl des Genfer Regierungsrats Luc Barthassat.

Personal
Unter den Bundesratsparteien ist die CVP derzeit am stärksten von Personalproblemen betroffen. Das beginnt bei Bundesrätin Doris Leuthard, die letztes Jahr mit einer kryptischen Andeutung Spekulationen über einen unmittelbar bevorstehenden Rücktritt angeheizt hat. Trotz ihrer langen Amtszeit ist Leuthard im Volk immer noch populär; tritt sie noch vor Ende 2019 zurück, verliert die CVP ihre prominenteste (wenn nicht einzige) nationale Sympathieträgerin. Bei Fraktionschef Filippo Lombardi ist unklar, ob er noch einmal antritt, Generalsekretärin Béatrice Wertli hat gekündigt, Kampagnenleiterin Laura Curau desgleichen. Diffuse Signale sendet auch Parteipräsident Gerhard Pfister aus: Er scheint auf die Nachfolge von Leuthard zu aspirieren, auch wenn er jüngst erklärt hat, keine Kandidatur während des laufenden Wahlkampfs anzustreben.

Wahlkampfstrategie
Die Gesundheitskosten seien «Sorgenthema Nr. 1 der Schweizer Bevölkerung», glaubt das CVP-Generalsekretariat. Pünktlich aufs Wahljahr lanciert die Partei daher ihre Volksinitiative für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen; die Unterschriftensammlung startet diesen Oktober. Die Christlichdemokraten treten damit in Konkurrenz zur SP, die ebenfalls mit dem Thema Gesundheitskosten punkten will. Auf nationaler Ebene plant die CVP, ihren Wahlkampf weitestgehend in digitale Kanäle zu verlagern: Klassische Plakat- und Inseratekampagnen sollen, wenn überhaupt, durch Kantonal- und Lokalsektionen initiiert werden.

Chancen
Die kleine Parlamentskammer, der Ständerat, bietet wohl Gewähr dafür, dass die CVP trotz aller Schwierigkeiten fürs Erste eine massgebliche Kraft in Bundesbern bleibt. Die Mehrzahl ihrer heute 13 Sitze dürfte sie ohne Schwierigkeiten halten können. Sollte Doris Leuthard überdies tatsächlich vorzeitig zurücktreten, ist der Partei im Zuge der Nachfolgediskussion immerhin ein gerüttelt Mass an Publizität gewiss.

Gefahren
Von den strukturellen Problemen, dem offenkundig CVP-feindlichen Zeitgeist und der mitunter verhängnisvollen Wirkung eines Verliererimages einmal abgesehen, droht der CVP noch von einer weiteren Seite her Gefahr: Keine andere Partei verdankt prozentual gesehen so viele ihrer Nationalratssitze schierem Proporzglück. Gemessen am Wähleranteil von 11,6 Prozent sei die CVP im Nationalrat, wo sie 13,5 Prozent der Sitze hält, «deutlich übervertreten», so der Politologe Daniel Bochsler. Seiner Analyse zufolge gehen 11 der 27 CVP-Sitze auf Listenverbindungen oder Restmandate zurück. Diese zu halten, wird selbst dann nicht einfach, wenn die CVP ihr deklariertes Wahlziel erreicht und den Wähleranteil leicht steigern kann. Fabian Renz

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