Daniel Foppa
70 Kilometer westlich von Istanbul liegt das Hochsicherheitsgefängnis Silivri, mit 10’000 Plätzen die grösste Haftanstalt Europas. Der heute in Deutschland lebende ehemalige «Cumhuriyet»-Chefredaktor Can Dündar war in Silivri inhaftiert und beschreibt den Komplex als «Internierungslager für Erdogan-Gegner». Derzeit werden in der Haftanstalt unzählige Regierungskritiker und über 100 Medienschaffende festgehalten. Der bekannteste Gefangene ist der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der bis zu seiner Verhaftung als Korrespondent für die «Welt» arbeitete. Die türkische Regierung wirft ihm «Terrorpropaganda» und «Aufwiegelung der Bevölkerung» vor. Ebenfalls in Silivri inhaftiert ist der Investigativjournalist Ahmet Şık. Ihm wird vorgeworfen, den türkischen Geheimdienst kritisiert und Tweets über die PKK verbreitet zu haben.
Drohende Worte an Gedenkveranstaltung
Die Liste der Inhaftierten liesse sich beliebig fortsetzen. Täglich treffen neue Meldungen aus der Türkei ein, die die Transformation des Landes in eine Diktatur belegen. «Denjenigen, die unsere Werte angreifen, brechen wir die Hände, schneiden ihnen die Zunge ab und vernichten ihr Leben», verkündete Parlamentspräsident Ismail Kahraman an einer Gedenkveranstaltung zum Putschversuch. Das sind keine leeren Drohungen. Seit kurzem sitzen auch Taner Kiliç und Idil Eser in Haft – der Präsident und die Landesdirektorin von Amnesty International Türkei. «Wir haben gelernt, dass die Verteidigung der Menschenrechte in der Türkei ein Verbrechen ist», sagte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty dazu.
Im Berner Kirchenfeld-Quartier sieht das jemand ganz anders. Ihan Saygili ist seit acht Monaten offizieller Vertreter der Türkei in der Schweiz und hat letzte Woche Journalisten eingeladen, um der Niederschlagung des Putschversuchs zu gedenken. In seitenlangen Interviews rechtfertigte der «weltoffene Botschafter» («Basler Zeitung») anschliessend das Vorgehen der Türkei – mit Worten fern jeden Realitätsbezugs. «Wir würden nie den Rechtsstaat aushebeln», erklärte Saygili und versicherte: «Kein Journalist sitzt in der Türkei wegen seiner journalistischen Tätigkeit ein.» Die Entlassung von über 100’000 Staatsangestellten und die Inhaftierung von rund 50’000 Menschen verglich Saygili mit dem Ende der DDR: «Als die beiden deutschen Staaten wiedervereint wurden, sind 500’000 Staatsbedienstete über Nacht entlassen worden.» Zur Todesstrafe sagte der Botschafter: «Davon redet in Türkei niemand mehr.» Zwei Tage später warb Erdogan an einer Kundgebung in Istanbul mit den Worten «Wir werden den Verrätern den Kopf abreissen!» für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Von Saygili hat man seither nichts mehr gehört.
Unsere Aufgabe ist zu widersprechen
Dass ein Autokrat wie Erdogan nur willfährige Adlaten als Repräsentanten duldet, ist nicht weiter erstaunlich. Dennoch ist es unerträglich, wie Propagandabotschafter vom Schlage eines Saygilis die Öffentlichkeit zu belehren versuchen, in der Türkei herrschten rechtsstaatliche Prinzipien. Die einzige Antwort darauf ist die Demaskierung solcher Bemühungen als PR-Shows und der entschiedene Widerspruch. Wer die Ausbreitung der Barbarei in der Türkei rechtfertigt und verharmlost, handelt selber barbarisch. Egal, ob er das am Bosporus tut – oder im beschaulichen Berner Diplomatenviertel.