Daniel Foppa
Bemerkenswertes geschieht in der Walliser Gemeinde Bitsch. Das Dorf bei Brig entledigt sich zusehends seiner Zweitwohnungen. Für die touristische Entwicklung ist dies entscheidend, denn seit Annahme der Zweitwohnungsinitiative 2012 dürfen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent keine neue Ferienwohnungen mehr errichtet werden. In Bitsch hat sich der Anteil Zweitwohnungen von 33,6 Prozent 2014 auf noch 20,1 Prozent Anfang dieses Jahres reduziert. Mit dem Rückgang um 40 Prozent in drei Jahren ist der Anteil Zweitwohnungen in Bitsch nun wieder bei der magischen Grenze von 20 Prozent angelangt. «Wir werden wohl Ende Jahr unter diese Limite fallen», sagt Kurt Imhof vom Bauamt Bitsch.
Fragt sich, wie die Schrumpfung des Zweitwohnungsanteils bei nahezu gleichbleibendem Gesamtwohnungsbestand möglich war. Die Erklärung: Bitsch hat bisherige Zweitwohnungen in Erstwohnungen oder sogenannte «den Erstwohnungen gleichgestellte Wohnungen» umklassiert. Aus Zweitwohnungen können Erstwohnungen werden, wenn etwa ein Ferienhausbesitzer den Wohnsitz in sein Feriendomizil verlegt. Eine Gemeinde, die ihren Zweitwohnungsanteil senken will, hat grosses Interesse an solchen Zuzügern – egal, ob sie ihren Lebensmittelpunkt tatsächlich verlegen oder dies bloss auf dem Papier tun.
Spielraum haben die Gemeinden auch bei der im Zweitwohnungsgesetz vorgesehenen Kategorie der «gleichgestellten» Erstwohnungen. Darunter fallen zum Beispiel Personalwohnungen, Leerwohnungen oder Wohnungen, die von Personen genutzt werden, die im gleichen Gebäude eine andere Wohnung bewohnen. Der Clou dabei: Ob die Wohnungen tatsächlich als Personalwohnungen genutzt werden, leer stehen oder zum Eigengebrauch dienen, kontrolliert keine übergeordnete Stelle. Massgebend sind allein die Angaben der Gemeinden.
«Die Umsetzung ist eine Farce»
In Bitsch betont man, alles sei korrekt zuund hergegangen. «Die Zahlen von 2014 waren fehlerhaft, das wurde korrigiert», sagt Gemeindevertreter Imhof. Tatsächlich stütze sich der Bund bei der Berechnung des Zweitwohnungsanteils bis 2016 auf die Gebäudeund Wohnungsstatistik des Bundesamts für Statistik. Seit Inkraftsetzung der Zweitwohnungsverordnung im Januar 2016 dient für diese Berechnung das Wohnungsinventar des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE), in dem die Nutzungsart einer Wohnung detaillierter angegeben wird. So zählten im alten Register alle Wohnungen, die nicht mit einem Hauptwohnsitz belegt waren, zum Zweitwohnungsanteil. Nun hängt es vom angegebenen Nutzungszweck ab, ob eine Wohnung als Zweitwohnung gezählt wird.
Für Eva-Maria Kläy von Pro Natura Oberwallis ist klar: «Die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative ist eine Farce.» Der Bund kontrolliere nicht, ob die Gemeinden ihre Wohnungen richtig erfassten. «Wer will es ihnen verübeln, dass sie unter dem Druck der lokalen Baufirmen und Gewerbetreibenden alles versuchen, um unter die 20-Prozent-Marke zu kommen», sagt Kläy.
In vielen Fällen war der Versuch erfolgreich: Die Liste der Gemeinden mit über 20 Prozent Zweitwohnungen schrumpfte zwischen 2013 und Ende 2016 von 573 auf 417 Namen. Laut ARE-Sprecher Lukas Kistler ist die Abnahme eine Folge davon, dass mit dem neuen Wohnungsinventar der Erstwohnungsanteil präziser berechnet werden kann. Zudem spielten Gemeindefusionen eine Rolle: Sie sind dafür verantwortlich, dass seit 2016 drei Gemeinden weniger auf der Liste erscheinen.
Alle Möglichkeiten ausgeschöpft
Das Amt bekräftigt, «genau hinzuschauen», wenn eine Gemeinde neu unter die Marke von 20 Prozent fällt – wie etwa bei Oberwil im Simmental BE, wo der Zweitwohnungsanteil von 30,7 Prozent im Jahr 2014 um über die Hälfte auf 14,2 Prozent in diesem Jahr gesunken ist. Die Erklärung der Gemeinde: Bei der Bereinigung des alten Registers habe man viele alte Wohnungen neu als Leerwohnungen klassiert. Gemeindevertreter Ramon Kunz räumt allerdings ein: «Wir haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft.» Es sei erfreulich, dass Oberwil nun unter der 20-Prozent-Marke liege – auch wenn die Nachfrage nach Zweitwohnungen klein sein.
Markant sind die Rückgänge auch in anderen Gemeinden in den Tourismuskantonen Wallis, Bern und Graubünden, etwa in Kandergrund BE (von 23,4 auf 11,6 Prozent), Küblis GR (von 29 auf 17,6 Prozent) oder Vérossaz VS (von 22,3 auf 11,5 Prozent). Auffällig dabei: Die grössten Veränderungen sind bei Gemeinden zu verzeichnen, die deswegen unter die 20-Prozent-Marke gefallen sind oder dies in absehbarer Zeit tun werden. In Gemeinden mit Zweitwohnungsanteilen von über 40 Prozent gab es hingegen kaum Verschiebungen – obwohl auch dort vom alten auf das neue Register umgestellt worden ist.
Eva-Maria Kläy mag den Beteuerungen des ARE nicht glauben: «Es kann nicht sein, dass plötzlich Gemeinde um Gemeinde unter die Marke von 20 Prozent fällt. Wenn das anhält, gibt es in zehn Jahren kaum mehr Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent.» Kläy fordert eine stärkere Bundesaufsicht, damit dem Volkswillen Rechnung getragen werde. Dies dürfte schwer zu erfüllen sein. Für die Erfassung und Plausibilisierung der Zweitwohnungsangaben der 2255 Schweizer Gemeinden ist im ARE eine Person zuständig. Sie arbeitet zu 70 Prozent.