DANIEL FOPPA

Nun müssen die Bürgelichen Verantwortung übernehmen 2

Nun müssen die Bürgerlichen Verantwortung übernehmen

Zwölf Jahre lang war das Innendepartement in SP-Hand. Jetzt soll sich die politische Konkurrenz dieser Aufgabe stellen – und die nötigen Reformen in der Rentenpolitik vorantreiben.
NZZ am Sonntag, 25. Juni 2023

Daniel Foppa

Da tritt einer von der Kommandobrücke eines veritablen Tankers ab: Innenminister Alain Berset hört Ende Jahr auf und verlässt ein Departement, dessen unspektakulärer Hauptsitz an der Berner Inselgasse in Kontrast steht zum Jahresbudget von 20 Milliarden Franken. Kein anderes Departement verfügt über so viel Mittel.

Und kein anderes Departement greift derart direkt in unseren Alltag ein. Das zeigte sich eindrücklich während der Pandemie, es zeigt sich aber auch bei einem Blick auf die Krankenkassenprämien oder unseren Vorsorgeplan.

Nun ist unser politisches System darauf ausgelegt, die Machtfülle eines Bundesrats zu beschränken. Es spielt keine grosse Rolle, wer Wirtschaftsminister ist, denn dieser regiert in der Regel umso besser, je weniger man ihn wahrnimmt. Und auch die Entscheide der Justizministerin sind für die wenigsten von uns direkt spürbar.

Anders ist es im Innendepartement: Ohne Gegensteuer werden die Krankenkassenprämien zu einer immer unzumutbareren Belastung für viele Menschen. Der Altersvorsorge droht noch Schlimmeres bis hin zum Kollaps, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Trotz der im Herbst beschlossenen Erhöhung des Frauenrentenalters wird die AHV bereits 2029 wieder Defizite schreiben. Und ohne Gegenmassnahmen ist der AHV-Fonds zwischen 2040 und 2050 leer.

Wenn Politik also das langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass ist, so gilt das ganz besonders für das Schweizer Innendepartement. Gesundheits- und Rentenreformen gehören in einem Land mit direkter Demokratie und föderalen Eigenheiten zur politischen Königsdisziplin.

Umso bemerkenswerter ist, dass dem Innendepartement in den letzten 30 Jahren Bundesratsmitglieder vorstanden, deren Lust auf beharrliche Dossierarbeit zumeist überschaubar war: Ruth Dreifuss, Pascal Couchepin, Didier Burkhalter und Alain Berset – sie strebten als weltoffene und teils weltverbessernde Romands nach mehr als nach dem Klein-Klein eidgenössischer Realpolitik.

Insbesondere bei Pascal Couchepin war die Lust an der grossen Geste spürbar. Nach dem Wechsel ins Innendepartement schlug er 2003 mit einer gezielten Provokation Rentenalter 67 vor – und scheiterte in der Folge mit allen Reformplänen krachend. Couchepins ebenfalls glückloser Nachfolger Didier Burkhalter floh bereits nach zwei Jahren ins Aussendepartement und beendete damit die bürgerliche Phase im Innendepartement.

Die SP-Mitglieder Dreifuss und Berset können immerhin für sich verbuchen, die zwei einzigen erfolgreichen AHV-Reformen der letzten 30 Jahre verantwortet zu haben. Allerdings sollte sich die Sozialdemokratie nicht zu viel darauf einbilden: Dreifuss musste den Abstimmungskampf gegen grosse Teile der SP-Basis und den eigenen Parteipräsidenten führen, bei Berset sagte die SP geschlossen Nein. Zudem haben Dreifuss wie Berset mit beschönigenden Aussagen zum Zustand der AHV dazu beigetragen, dass zu viele Menschen die Augen verschliessen vor den alarmierenden Finanzperspektiven des Vorsorgewerks.

Deshalb sollten jetzt die Bürgerlichen übernehmen. Es braucht an der Spitze des Innendepartements jemanden, der schonungslos die prekären Zukunftsperspektiven der AHV aufzeigt. Sozusagen das Gegenteil des früheren deutschen CDU-Arbeitsministers Norbert Blüm. In den 1980er Jahren wurde dieser mit dem verharmlosenden Slogan «Die Rente ist sicher» berühmt. Worauf ihm ein Versicherungsmathematiker geantwortet haben soll: «Und die Erde ist eine Scheibe.»

Wie sehr die Rentenpolitik von Realitätsverweigerung geprägt ist, zeigte sich unlängst in der Sommersession: Die Räte verwarfen ohne Gegenvorschlag die Renteninitiative der Jungfreisinnigen, die eine – längerfristig unumgängliche – Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung vorsieht. Das Anliegen dürfte damit an der Urne scheitern.

Abgestimmt wird nächstes Jahr, wie auch über die Gewerkschafts-Initiative für eine 13. AHV-Rente und die Reform der beruflichen Vorsorge. Gleichzeitig arbeitet das Innendepartement im Auftrag des Parlaments an einer neuen AHV-Reform. Uns stehen also Schicksalsjahre der Rentenpolitik bevor. Entsprechend wichtig ist, wer das Schlüsseldepartement übernimmt.

Aus bürgerlicher Sicht kämen Ignazio Cassis und Viola Amherd infrage. Cassis war früher Sozial- und Gesundheitspolitiker, Amherd hat sich zuletzt als kluge Taktiererin erwiesen und kommt in der Bevölkerung gut an. Von beiden ist zu erwarten, dass sie die Zukunftsperspektiven der AHV schonungslos aufzeigen würden, ohne den Sinn für machbare Reformen zu verlieren.

Jedenfalls sollte die Behauptung, nur einem sozialdemokratischen Bundesrat könne eine Rentenreform gelingen, nicht zum Dogma werden. Denn bleibt das Innendepartement in SP-Hand, ist die Gefahr real, dass die nächste Reform nicht mit der nötigen Dringlichkeit angegangen wird – man hat ja eben erst das Frauenrentenalter erhöht. Exponenten der Partei haben sich bereits so geäussert und werden diese Haltung auch von ihrem neuen Bundesrat erwarten.

Das Nachsehen hätte die junge Generation, die für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen muss. Und den Preis dafür bezahlt, dass unser Politsystem Probleme oft erst dann löst, wenn das Wasser bis zum Hals steht.

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