Daniel Foppa
Kaum war die Verleihung publik, hagelte es Proteste: «Das ist eine Schande, nicht nur für die Universität Lausanne, sondern für die ganze Schweiz», schreibt der Kunstmaler Ulrich-Wilhelm Züricher aus Sigriswil am 2. April 1937 dem Rektor der Universität Lausanne. Und Emil Meier aus Wetzikon liess die Universitätsleitung am 4. März 1937 wissen: «Ganz unverständlich erscheint mir, wie noch vielen meiner Mitbürger, wie ein Rektorat einer Schweizer Hochschule einen Mann, der das Leben von mehreren Zehntausenden von Menschen (auch wenn es nur Abessinier waren) auf dem Gewissen hat, mit dem Titel eines Ehrendoktors schmücken kann.» Nachzulesen sind solche Briefe in einer Schrift, in der die Universität Lausanne 1987 alle Dokumente zur Verleihung herausgegeben hat.* Damit, so die offizielle Position der Universität, sei der Aufarbeitung Genüge getan. Eine Aberkennung der Ehrendoktorwürde stehe nicht zur Diskussion, heisst es auf Anfrage.
Mussolini hatte seine Karriere in Lausanne als Landstreicher begonnen. Der Dorfschullehrer aus der Emilia-Romagna traf 1902 in der Stadt am Genfersee ein, damals ein Zentrum italienischer Arbeiter. Zunächst schlief Mussolini unter Brücken, wurde dann Gewerkschaftssekretär, organisierte Versammlungen und verfasste Artikel für eine sozialistische Publikation. Als er 1903 seine Aktivitäten auf den Kanton Bern ausweiten wollte, wies ihn dieser ebenso aus wie ein Jahr später der Kanton Genf. Trotzdem immatrikulierte sich Mussolini noch im selben Jahr für sieben Monate am Institut für Sozial- und Politikwissenschaft der Universität Lausanne, bevor er nach Italien zurückkehrte.
Der Scheck des Duce
Die kurze Zeit an der Universität genügte dem Rektorat im Januar 1937, Mussolini das Ehrendoktorat zu verleihen. Treibende Kraft war Professor Pasquale Boninsegni, der wie Mussolini aus der Emilia-Romagna stammte und bei dem der Student Vorlesungen besuchte. Den Entscheid positiv beeinflusst haben dürfte auch eine Spende von 1000 Franken, die Mussolini der Universität 1936 für ihre 400-Jahr-Feier überwiesen hatte. Zum Zeitpunkt der Ehrung war Mussolini Ministerpräsident Italiens, hatte eine faschistische Diktatur errichtet und mit einem Angriffskrieg Abessinien unterworfen. Dem italienischen Regime fielen von 1935 bis 1941 zwischen 350 000 und 760 000 Abessinier zum Opfer. Dies alles hinderte die Universität nicht daran, Mussolini das Ehrendoktorat zu verleihen. Begründet wurde die Ehrung mit den Verdiensten des Duce zur «sozialen Erneuerung» Italiens. Mussolini habe, so der Rektor, «dem italienischen Volk das lebendige Gefühl eines spirituellen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts vermittelt». Sein Werk ermögliche es Italien, «die moralische und wirtschaftliche Krise zu meistern» und werde «in der Geschichte eine tiefe Spur hinterlassen».
Wie die unmittelbaren Reaktionen auf die Ehrung zeigen, liest sich diese Begründung nicht nur aus der historischen Distanz wie purer Hohn. Auch nach Mussolinis Tod 1945 wurde die Ehrung wiederholt kritisiert und eine Aberkennung posthum gefordert. Die Universität Lausanne wies solche Forderungen stets zurück und hat ihre Position bis heute nicht geändert. Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin: «Das Rektorat hat sich in den 80er-Jahren mit der Kontroverse befasst und kam zum Schluss, dass man die Verleihung nicht zurücknehmen und die Geschichte neu schreiben kann.» Man habe sich für Transparenz entschieden und alle Dokumente zur Verleihung veröffentlicht. Dies solle helfen, den Entscheid von 1937 zu verstehen, «der heute schwer verständlich erscheint». Das heutige Rektorat halte an dieser Position fest – im Wissen, dass es dem Ruf der Universität schaden könne. «Aber als wissenschaftliche Einrichtung ist die Universität verpflichtet, einen solchen Fall transparent und im Kontext darzustellen, anstatt ihn zu verneinen oder verschwinden zu lassen.»
«Ein skandalöser Entscheid»
Kein Verständnis für die Haltung der Universität Lausanne hat der am Münchner Institut für Zeitgeschichte lehrende Mussolini-Biograf Hans Woller: «Mit ihrem skandalösen Entscheid spielt die Universität Lausanne Rechtsradikalen und Neofaschisten in die Hände.» Diese könnten jederzeit sagen, wenn Mussolini tatsächlich so schlimm gewesen wäre, hätte ihm die renommierte Universität doch längstens den Ehrendoktor aberkannt.
«Mussolini hat in Libyen und Abessinien Kriege mit genozidalem Charakter geführt», sagt Woller, der vor kurzem eine Biografie mit dem Titel «Mussolini. Der erste Faschist» vorgelegt hat. Darin zeigt er auf, wie der Duce die totalitäre Massendiktatur erfand und zu Hitlers wichtigstem Verbündeten wurde. Gemäss Woller hat die Universität Lausanne bereits bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde gewusst, dass Mussolini «ein gnadenloser Diktator, ein Rassist und Antisemit» war. Für den Historiker ist klar: «Mussolini muss der Ehrendoktor aberkannt werden – das ist eine bare Selbstverständlichkeit.»
* Livre Blanc de l’Université de Lausanne sur le doctorat honoris causa de Benito Mussolini. Lausanne 1987.