DANIEL FOPPA

Sicherheit

Höchste Zeit für mehr Ehrlichkeit in der Sicherheitspolitik

Die Schweiz kauft neue Kampfjets und soll stärker mit der Nato kooperieren. Beides ist vernünftig und miteinander verknüpft: Die Modernisierung der Armee macht nur Sinn, wenn sie eingebettet ist in einen internationalen Rahmen.
NZZ am Sonntag, 18. September 2022

Daniel Foppa

Nun ist es also besiegelt, das grösste Rüstungsgeschäft der Schweiz: Das Parlament hat den Kauf von 36 Kampfjets zum Preis von gut sechs Milliarden bewilligt. Daran ändert auch die Stopp-F-35-Initiative nichts: Wir werden erst darüber abstimmen, wenn der Kaufvertrag unterzeichnet ist.

Die Beschaffung ist notwendig, denn die Schweiz braucht die Flugzeuge für die Luftpolizei und die Luftverteidigung. Und es ist richtig, dass die Jets nun zum vereinbarten Preis beschafft werden und nicht erst die Abstimmung über die Initiative der Flugzeuggegner abgewartet wird. Die Bevölkerung hat 2020 Ja gesagt zu neuen Kampfjets. Die danach lancierte Initiative richtet sich gegen die Typenwahl des Bundesrats, also gegen die Umsetzung des Volksentscheids. Das ist Zwängerei, die nicht Schule machen darf. Die direkte Demokratie würde sich selbst blockieren, wenn Abstimmungsverlierer jeweils eine neue Initiative lancieren, um den Vollzug eines Mehrheitsentscheids zu verhindern.

Mit der Unterschrift unter den Kaufvertrag ist es indes nicht getan: Die Beschaffung der Hochleistungsjets aus den USA ergibt nur Sinn, wenn sie eingebettet ist in einen grösseren Rahmen. Zu Recht hat der Bundesrat letzte Woche entschieden, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik konsequenter auf die internationale Zusammenarbeit auszurichten. Dieses Bekenntnis zur stärkeren Kooperation mit der Nato und der EU ist ein Bekenntnis zu mehr Ehrlichkeit. Denn Sicherheitspolitik im Europa des 21.#Jahrhunderts muss grenzüberschreitend gedacht werden. Wer das verneint und weiterhin auf eine rein autonome Verteidigung setzt, ignoriert die Bedrohungslage oder handelt ideologisch.

Seit siebzig Jahren profitiert die Schweiz ohne Gegenleistung vom Schutzschirm der Nato. Und seit der Osterweiterung des Bündnisses müsste ein Aggressor von ausserhalb der Nato zwingend über das Gebiet der Allianz vorstossen – es sei denn, Österreich wäre der Aggressor –, wenn er in die Schweiz einfallen möchte. Ein isolationistischer Ansatz taugt denn auch nicht als Antwort auf aktuelle Bedrohungen: Cyberattacken und Terrorismus müssen international vernetzt bekämpft werden, zum Schutz des Luftraums wird bereits heute grenzüberschreitend operiert, und bei der Satellitenaufklärung spannt die Schweiz mit Frankreich zusammen. Auch die seit dem Ukraine-Krieg wieder stärker diskutierte Gefahr eines konventionellen Angriffs kann nicht losgelöst von der Realität eines Landes gesehen werden, das von Freunden umgeben ist. Sprich: Es ist sinnvoller, sich mit den Nachbarn auf die Abwehr eines möglichen Feindes vorzubereiten – als in unseren Partnern potenzielle Aggressoren zu sehen und die Verteidigung ab der Landesgrenze zu planen.

Der Bundesrat schlägt gemeinsame Übungen mit Nato-Truppen und EU-Verbänden vor und eine stärkere Beteiligung an Friedensförderungseinsätzen. Zudem soll bei der Ausrüstung und der Ausbildung verstärkt auf Interoperabilität geachtet werden. Solche Angleichungen kosten Zeit, bestehen doch Unterschiede zwischen einem Milizheer nach Schweizer Art und Berufsverbänden der Nato-Staaten. Deshalb wäre es wichtig, mit den Annäherungsschritten bald zu beginnen. Doch obwohl sich laut jüngsten Umfragen eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung eine engere Zusammenarbeit mit der Nato wünscht, kündigt sich bereits Widerstand im Parlament an. Die SVP wirft dem Bundesrat vor, die Sicherheit der Schweiz zu gefährden. Und lässt verlauten: «Die Nato ist eine Angriffsarmee.» Das ist geschichtsvergessener Unsinn, dargebracht von der stärksten Partei des Landes. Auch Links-Grün will traditionellerweise nichts wissen von mehr militärischer Zusammenarbeit. Die SP übersieht dabei, dass die hochgelobte «aktive Neutralität» ihrer früheren Aussenministerin Micheline Calmy-Rey durchaus auch Offenheit für mehr Verteidigungskooperation bedeutet.

Damit droht sich ein Szenario zu wiederholen, das die Sicherheitspolitik seit Jahren lähmt: Der Ausbau der internationalen Kooperation wird zwischen den politischen Polen zerrieben. Das mussten die kooperationswilligen Verteidigungsminister Adolf Ogi und Samuel Schmid schmerzhaft erfahren, während ihre Nachfolger Ueli Maurer und Guy Parmelin das Thema ignorierten – oder solche Anstrengungen gar rückgängig machten. Die Parteidoktrin ging vor.

Nun aber hat sich mit dem Krieg in Europa die Sicherheitslage fundamental geändert. Und mit Viola Amherd ist eine Frau Verteidigungsministerin, die offen für eine stärkere Kooperation mit der Nato eintritt. Support erhält sie von den Parteien aus der politischen Mitte. Diese sprechen sich so klar wie noch nie für mehr internationale Kooperation aus und bezeichnen die autonome Landesverteidigung inzwischen als «Illusion» (FDP) oder «Wunschdenken» (GLP).

Das sind neue Töne. Wenn ihnen Taten folgen, wird auch der Neutralitätsbegriff schärfere Konturen annehmen. Nicht als Folge theoretischer Überlegungen. Sondern als gelebte Praxis eines Kleinstaats, der seine Sicherheitspolitik aus Eigeninteresse stärker mit jener der Nachbarn koordiniert. Und es zunehmend selbstverständlich findet, ebenfalls einen Beitrag zu leisten, wenn fundamentale Prinzipien des Völkerrechts verletzt werden.

Wer weiterhin auf eine rein autonome Verteidigung setzt, ignoriert die heutige Bedrohungslage oder handelt ideologisch.

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