«Europa befindet sich in einem relativen Krieg» Pitteloud

«Europa befindet sich in einem relativen Krieg»

Die Lage in Europa sei so ­gefährlich wie noch nie in den letzten Jahrzehnten, sagt Jacques Pitteloud, Schweizer Botschafter bei der Nato. Doch in der Schweiz sei das Bewusstsein für den Ernst der Situation erstaunlich wenig ausgeprägt.
NZZ am Sonntag, 26. Oktober 2025

Interview: Daniel Foppa

NZZ am Sonntag: Diese Woche sind erneut russische Flugzeuge in den Nato-Luftraum ­eingedrungen, diesmal über Litauen. Europäische Politiker sprechen zunehmend davon, dass sich Europa im hybriden Krieg mit Russland befinde. Wie beurteilen Sie die allgemeine Sicherheitslage?

Jacques Pitteloud: Wir befinden uns in einer Art Zwitterzustand, was dazu führt, dass die Lage so gefährlich ist wie noch nie in den letzten Jahrzehnten. Denn die massgeblichen Akteure USA und Russland lassen ihre wahren Absichten weitgehend im Dunkeln und senden widersprüchliche Botschaften aus. Die Pläne des Weissen Hauses für Europa und die Ukraine sind gelinde gesagt nicht eindeutig. Moskau betont derweil, man sei Opfer eines organisierten Angriffs des Westens gegen das wiedererwachte Russland. Und erklärt gleichzeitig, man wolle seine alte Einflusssphäre über Europa zurückgewinnen. In der Sicherheitspolitik ist nichts so gefährlich wie Ungewissheit: Wenn die Absichten des einen Akteurs nicht eindeutig sind, kann der andere Akteur die falschen Schlüsse ziehen.

Was bedeutet das konkret?

Auch nach dem Besuch des Nato-Generalsekretärs Mark Rutte von dieser Woche in Washington herrscht weiterhin Unklarheit, wie stark sich die Europäer im Fall eines begrenzten Angriffs auf einen Nato-Staat tatsächlich auf die USA verlassen können. Unterstützen die Amerikaner dann die Europäer oder nicht? Unterstützen sie sie voll oder nur zum Teil? Solche Unklarheiten können die andere Seite dazu verleiten, Risiken einzugehen, die sie sonst nicht eingegangen wäre.

Gibt es historische Beispiele, bei denen solche Unsicherheiten in einer militärischen Auseinandersetzung endeten?

Ein Beispiel ist der Golfkrieg von 1990. Da hat die US-Botschafterin im Irak gegenüber Saddam Hussein nicht klar gesagt, dass die USA keine Invasion Kuwaits dulden würden. Sie hat keine klare rote Linie gezogen, und Saddam Hussein interpretierte das so, als habe er freie Hand. Er griff Kuwait an, worauf die Amerikaner dann aber doch intervenierten.

Jüngst hat der US-Botschafter bei der Uno, Michael Waltz, gesagt: «Die USA werden jeden Zentimeter Nato-Territorium verteidigen.» Das ist doch eine klare Aussage.

Das stimmt. Aber gleichzeitig sendet der US-Präsident andere Botschaften aus. Bereits in seiner ersten Amtszeit erklärte Präsident Trump, er sehe nicht, weshalb US-Soldaten für Montenegro sterben sollten. Das sind widersprüchliche Äusserungen, die zu Missverständnissen führen können. Und solche Missverständnisse haben die Welt schon mehrfach an den Rand einer Katastrophe gebracht.

Können Sie auch hier ein Beispiel nennen?

Im Kalten Krieg hatten die Sowjetunion und die USA zwei unterschiedliche Doktrinen zum Schutz ihrer Atomwaffen – damit sie im Fall eines Angriffs zurückschlagen könnten. Die Amerikaner lagerten sie unter einer sieben Meter dicken Betondecke, die Sowjets an voneinander entfernt liegenden Orten. Als die Sowjets dann dank Satellitenaufklärung entdeckten, dass die USA ihre Atomwaffen nahe beieinander lagern, kamen sie zum Schluss: Das muss für einen Erstschlag konzipiert sein. Darauf empfahl der Generalstab dem Obersten Sowjet: Wir haben den Beweis, dass die Amerikaner einen Erstschlag planen, und müssen dem mit einem eigenen Erstschlag zuvorkommen. Zum Glück liess sich die sowjetische Führung nicht überzeugen. Erst viel später konnte dieses Missverständnis über direkte Kanäle zwischen den beiden Ländern ausgeräumt werden.

Bestehen diese direkten Kanäle zwischen den USA und Russland denn heute nicht mehr?

Die bestehen schon. Aber alles deutet darauf hin, dass wir uns trotzdem im Zustand eines relativen Friedens oder eines relativen Krieges befinden.

Was ist ein relativer Krieg?

In einem relativen Krieg werden mit feindlichen Operationen, die meist nicht eindeutig einem Akteur zugeordnet werden können und die unter der Schwelle militärischer Angriffe liegen, die Grenzen des Gegners ausgelotet: Wie weit kann ich gehen, bevor er zurückschlägt? Das tut Russland, wenn es mit seinen Drohnen und Kampfjets den Nato-Luftraum verletzt. Oder mit Destabilisierungsmassnahmen den Verteidigungswillen in Nato-Staaten sowie die Einheit des Bündnisses zu schwächen versucht.

Wie weit wird Putin Ihrer Ansicht nach gehen?

Man muss die gegenwärtige Lage auch aus historischer Perspektive betrachten. In der russischen Führung und in der russischen Armee gibt es sehr viele Überbleibsel aus der Zeit der Sowjetunion. Die Sowjetunion hatte eine Doktrin zum relativen Krieg mit Drehbüchern für Beeinflussungsoperationen: Wie spaltet man die Einheit eines potenziellen Gegners? Gemäss diesen Drehbüchern geht man so weit, bis die Reizschwelle des Gegners erreicht ist. Und allenfalls einen Schritt weiter in die militärische Auseinandersetzung. Die Umsetzung des ersten Teils dieses Drehbuchs erleben wir derzeit. Ob wir auch den zweiten Teil erleben werden, ist offen.

Stösst Putin bei seinem Versuch, die Einflusssphäre auf frühere Länder des Warschauer Pakts auszuweiten, nicht auf Grenzen? Man kann sich zum Beispiel schwer vorstellen, dass seine Beeinflussungsoperationen in Polen auf fruchtbaren Boden stossen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Staatschef eines Landes des früheren Warschauer Paktes. Ihr Land hat aus strategischen Überlegungen den Beitritt zur Nato gewählt. Doch jetzt kommen plötzlich Zweifel auf: Wird die Nato tatsächlich für unser Land in den Krieg ziehen, wenn wir von Russland angegriffen werden? Sollen wir uns weiterhin darauf verlassen – oder uns anders arrangieren, um die eigenen Interessen bestmöglich zu wahren? Und zum Beispiel versuchen, ein besseres Verhältnis zu Russland aufzubauen? Das hat Ungarn getan, obwohl die Russen 1956 in ihr Land einmarschiert sind. Wer hätte sich das vor ein paar Jahren vorstellen können? Genau das ist Präsident Putins Plan: das Vertrauen in die EU und die Nato so zu erschüttern, dass es sich die Staaten anders überlegen.

Steuert die Nato nicht genug gegen? Europa rüstet auf wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg, und das Bündnis hat die Operation ­«Eastern Sentry» lanciert zum Schutz seiner Ostflanke.

Wir erleben derzeit eine extrem paradoxe Situation: Noch nie war die Nato so stark wie heute. Mit Schweden und vor allem Finnland sind zwei der stärksten Armeen dem Bündnis beigetreten, und die Mitgliedsstaaten haben ihre Rüstungsausgaben stark erhöht. Gleichzeitig war die Nato noch nie so geschwächt wie heute. Denn die Absichten der Amerikaner sind unklar. Und die USA sind entscheidend für die Nato.

Wie stark wäre denn eine Nato ohne die USA?

Viele Leute fokussieren sich zu Unrecht auf die nukleare Abschreckung, die die Nato dank den USA hat. Die Realität ist, dass es in der Nato mit Grossbritannien und Frankreich auch zwei europäische Atommächte gibt. Und es ist nicht entscheidend, ob man 600 oder 6000 Gefechtsköpfe hat – beides reicht aus, um einen Gegner zu zerstören.

Die nukleare Abschreckung funktioniert also auch ohne die USA. Warum sind die Vereinigten Staaten trotzdem so entscheidend für die Nato?

Viel schwieriger zu kompensieren ist die amerikanische Führungsstruktur, die die Nato prägt. Diesen Bereich, die ganze Technik, die dahintersteckt, hat Europa seit dreissig Jahren sträflicherweise den Amerikanern überlassen. Man wusste einfach: Die Amerikaner machen das, und sie machen es gut. Dabei geht es um entscheidende Bereiche wie elektronische Aufklärung, Radartechnologie, Datensammlung und -analyse, Kommunikationsanlagen oder Satelliten. So verfügen die USA über 6000 Satelliten in tiefer Umlaufbahn, Europa hat 300 davon. Wenn man die amerikanische Führungsstruktur wegnimmt, wäre die Nato eine wenig koordinierte Ansammlung von Armeen verschiedener Länder. Es würde Jahrzehnte brauchen, um eine neue, gemeinsame Führungsstruktur zu etablieren.

Dann sind die Pläne der EU, wonach sich Europa von 2030 an selbst verteidigen können soll, illusorisch?

Wenn sich Europa entscheidet, aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen, kann es natürlich stark aufrüsten. Und entsprechende industrielle Anstrengungen sieht man ja, zum Beispiel in Deutschland. Deutschland kann Panzer, Artillerie und Flugzeuge produzieren. Aber das sind Waffen des 20. Jahrhunderts. Die Vorbereitung auf den modernen technologischen Krieg mit einer integrierten Führung und entsprechender Datenverarbeitung benötigt hingegen viel mehr Zeit.

Die europäischen Länder versuchen jetzt, diesen technologischen Rückstand aufzuholen. Aber wie sieht es politisch aus – besteht da nicht auch viel Nachholbedarf für eine gemeinsame Strategie der Nato?

Politisch liegt das Problem in der unterschiedlichen Wahrnehmung der Gefährdung. Das sieht man zum Beispiel in Spanien, das nicht richtig mitmachen will bei der europäischen Aufrüstung. Ich selbst lebe in Belgien – auch da ist das Baltikum weit entfernt. In den Frontstaaten im Osten sieht es hingegen ganz anders aus. Aber es ist ein Trugschluss, wenn die Staaten am Atlantik meinen, sie seien nicht bedroht. Denn in Zeiten des hybriden Krieges können ein Kommunikationskabel westlich von Irland oder der Hafen von Antwerpen genauso Ziele für einen Angreifer sein wie eine kleine Befestigung an der litauischen Grenze.

Niemand in der Schweiz kennt die Nato derzeit so gut wie Sie – was für eine Note würden Sie dem Bündnis geben, wie funktioniert es zurzeit?

Den militärischen Strukturen der Nato würde ich weiterhin eine hohe Note geben. Soweit wir das beurteilen können, erfüllen die militärischen Vertreter der USA weiterhin ihre Pflicht und machen nicht Dienst nach Vorschrift. Die Amerikaner stehen auch öffentlich dazu – sagen aber gleichzeitig unmissverständlich: Unser Beitrag hat einen Preis, nämlich die Aufrüstung Europas. Dafür müssen jetzt die Europäer bezahlen und die Waffen möglichst in den USA kaufen.

Aber Sie stellen in der Praxis kein schwindendes Engagement der USA fest?

Wir stellen fest, dass die USA Leute abziehen und nicht ersetzen. Bis jetzt allerdings nicht in grösserem Ausmass. Mit Spannung wird aber demnächst der amerikanische Stationierungsbericht erwartet – die Übersicht, wo auf der Welt US-Truppen abgezogen und wo neue stationiert werden. Entscheidend wird dabei nicht sein, ob die Amerikaner ein paar Truppen und schwere Waffen aus Europa abziehen. Damit ist nach Trumps Verlautbarungen zu rechnen. Entscheidend wird sein, ob es Veränderungen bei der Nato-Führungsstruktur und ein politisches Bekenntnis zur Nato geben wird.

Die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen gibt derweil ein Bekenntnis für einen europäischen Drohnenwall ab. Wie gut ist die Nato bei der Drohnenabwehr aufgestellt?

Bei der Drohnenabwehr gibt es eine Supermacht, und das ist die Ukraine. Die ukrainische Rüstungsindustrie und die ukrainische Armee haben eine Agilität an den Tag gelegt, die jede Vorstellungskraft sprengt. Die Zeitspanne von der Einführung eines neuen Waffensystems bis zu seiner notwendigen Modifizierung auf dem Gefechtsfeld beträgt in der Ukraine momentan zwei bis drei Wochen. In der Schweiz beträgt die Durchschnittszeit bei der Einführung eines neuen Waffensystems zwölf Jahre, in der Nato fünfzehn bis siebzehn Jahre.

Kann denn die Nato von diesem Know-how der Ukraine profitieren?

Es gibt ja keine Nato-Rüstungsindustrie, sondern nur nationale Rüstungsindustrien. Und verschiedene Länder konnten bereits stark von den Erfahrungen der Ukraine profitieren, zum Beispiel die Amerikaner. Sie führen derzeit bis auf Stufe Einheit modulare Drohnensysteme ein, bei denen sie die Lehren aus dem Ukraine-Krieg einfliessen lassen. In Europa arbeiten alle Länder an der militärischen Drohnentechnologie, auch die Schweiz. Es herrscht grosse Geheimhaltung, aber es ist klar, dass traditionelle Industriemächte wie Deutschland die Nase vorne haben – aber auch traditionell innovative Länder wie Finnland. Und die Nato ist in engem Austausch mit der Ukraine über den konkreten Einsatz der Drohnentechnologie.

Die Lehren aus dem Schlachtfeld fliessen also direkt in die Einsatzdoktrin ein.

Amerikaner sagen mir, die Ukrainer hätten sie gelehrt, wie sie ihre eigenen ATACM- und Himars-Raketensysteme richtig einsetzen müssten. Denn die Ukrainer haben wegen der Erfahrungen auf dem Schlachtfeld Einsatzdoktrinen entwickelt, an die die Amerikaner nie gedacht hätten. Die Amerikaner lernen jetzt also von den Ukrainern, die eigenen Waffensysteme zu bedienen.

Und was lernt die Nato bei den Drohnen von der Ukraine?

Man hat festgestellt, dass die bisherigen Flugabwehrsysteme nicht darauf ausgerichtet sind, kleine Flugobjekte wie Drohnen zu erfassen. Die bisherigen Systeme sind auf die Erkennung grösserer Ziele ausgerichtet. Daher baut man jetzt Radarsysteme, die auch Drohnen besser erfassen können. Zudem hat der Ukraine-Krieg gezeigt, dass auch ökonomische Aspekte bei der Drohnenabwehr entscheidend sind. Wenn man eine 20 000-Dollar-Drohne mit einer millionenteuren Lenkwaffe zerstört, geht das längerfristig nicht auf. Auch hier werden neue Systeme zur Drohnenabwehr entwickelt.

Vor kurzem hat Polen nach dem Eindringen mehrerer Drohnen Artikel 4 des Nato-Vertrags ausgerufen – eine Krisenberatung aller Nato-Staaten nach schwerwiegenden militärischen Vorfällen. Die nächste Stufe wäre Artikel 5, die Ausrufung des Bündnisfalles. Wird der aus Ihrer Sicht in nächster Zeit ausgerufen werden?

Artikel 5 wurde in der Geschichte der Allianz erst einmal ausgerufen, das war am 11. September 2001. Vorgesehen ist der Artikel für den Fall eines militärischen Angriffs auf ein Nato-Mitglied. Allerdings stammt er aus einer Zeit, als die Verhältnisse noch klarer waren. Denn mit dem hybriden Krieg von heute ist die Entscheidung schwieriger geworden, wann genau der relativ vage formulierte Artikel 5 ausgerufen werden soll. Es wurde mehrfach zu Artikel 4 gegriffen. Aber wir wissen, dass innerhalb der Nato intensiv darüber diskutiert wird, dass man diesen Artikel nicht zu oft ausrufen sollte, weil er sonst irgendwann seine Wirkung verliert.

Woher beziehen Sie eigentlich Ihre Informationen über Nato-Interna?

Wir haben keinen Zugang zu klassifizierten Informationen. Wenn wir aber bei einer Nato-Operation dabei sind, etwa bei der Friedensförderung in Kosovo, erhalten wir alle nötigen Informationen. Als befreundeter Staat mit ständiger Präsenz in Brüssel hört man aber natürlich auch sonst einiges, was Nato-intern läuft.

Versuchen Sie auch, an Informationen zu kommen, die Sie offiziell nicht erhalten?

Ich würde meinen Job nicht richtig ausführen, wenn ich das nicht täte. Aber wir bewegen uns dabei strikt im legalen Bereich.

Sollte sich die Schweiz angesichts der angespannten Lage stärker an die Nato als Schutzmacht annähern – oder sich vielmehr von ihr abwenden, um nicht in einen potenziellen Krieg hineingezogen zu werden?

Das ist ein Entscheid der Politik. Meine Rolle ist es, dem Bundesrat bestmögliche Entscheidungsgrundlagen zu liefern.

Hier spricht der Diplomat. Aber können Sie uns sagen, was derzeit aus sicherheitspolitischer Sicht Sinn ergibt?

Es ist sicher richtig, dass wir die Interoperabilität mit der Nato so weit ausbauen, wie es mit der Neutralität möglich ist. Zudem ist die Allianz das Zentrum des militärischen Wissens in Europa. Dank unserer Mission bei der Nato können wir sehr viel lernen und damit die sicherheitspolitische Analyse des Bundesrats bereichern. Wie stark wir aber mit der Nato kooperieren, ist und bleibt ein politischer ­Entscheid.

Wieso überhaupt kooperieren? Könnten wir uns nicht zurücklehnen und die Verteidigung der Nato überlassen, die unser Land wie ein Schutzring umgibt?

Wenn wir nur an einen klassischen militärischen Angriff denken, könnten wir uns tatsächlich zurücklehnen. Aber die Bedrohungslage ist heute viel diffuser. Die Schweiz besitzt kritische Infrastrukturen von gesamteuropäischer Bedeutung; Verkehrswege, Stromleitungen, IT-Zentren. Das sind im Zeitalter hybrider Kriege alles potenzielle Ziele. Deshalb sollten wir die beschränkten Mittel, die wir für die Verteidigung zur Verfügung haben, durch internationale Kooperation optimieren.

Was erwartet denn die Nato von der Schweiz?

Sicher keinen Beitritt, die Nato hat unsere Neutralität verinnerlicht. Erwartet wird das, was wir auch im Kalten Krieg geleistet haben: dass die Schweiz nicht zu einer Schwachstelle der europäischen Verteidigung wird, dass ihr Territorium und ihr Luftraum nicht für militärische Umgehungsaktionen genutzt werden können.

Hat die Schweiz Ihrer Ansicht nach den Ernst der Lage erkannt?

Immer wenn ich in Zürich lande, habe ich das Gefühl, dass dieses Land in einer anderen Welt lebt. Aus meiner Sicht ist das Bewusstsein für den Ernst der Lage erstaunlich wenig ausgeprägt. Deshalb sehe ich die Aufgabe von uns Sicherheitsexperten auch darin, den Menschen zu sagen: Informiert euch, denn es kommen schwierige und gefährliche Zeiten auf Europa zu. Vielleicht passiert am Schluss nichts, und viele werden dann sagen: Seht ihr, wir haben es euch doch gesagt. Ich hoffe, dass sie recht behalten. Doch das sollte uns nicht von einer nüchternen Analyse und einer entsprechenden Vorbereitung abhalten. Damit ist unser Land, dem ich seit vierzig Jahren mit Stolz diene, bisher sehr gut gefahren.

Jacques Pitteloud

Der 62-jährige Walliser ist Leiter der Schweizer Mission bei der Nato und Botschafter der Schweiz in Belgien. Zuvor war Pitteloud Botschafter in diversen Staaten, etwa den USA, Kenya und Rwanda, sowie Koordinator der Schweizer Nachrichtendienste. Der promovierte Jurist und Generalstabsoffizier ist Referent der «NZZ Academy» – eines Executive-Programms über Geopolitik, Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft für Schweizer Führungskräfte.

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