Daniel Foppa
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine bringt die Schweizer Hochschulen in eine Zwickmühle. Wie sollen sie mit russischen Studierenden umgehen? Restriktiv, um zu verhindern, dass diese Know-how erwerben, das für die Kriegsindustrie nützlich sein kann – etwa Hightech-Kenntnisse für den Drohnenbau oder IT-Wissen für Cyberangriffe? Oder grosszügig, weil von den hier studierenden Russinnen und Russen eine kritische Haltung zum Putin-Regime angenommen wird?
Klar ist der Fall auf institutioneller Ebene: Praktisch alle angefragten Hochschulen erklären, dass sie ihre Kooperationen und Austauschprogramme mit russischen Hochschulen sistiert haben. Sie folgen damit einer Empfehlung von Swissuniversities, dem Dachverband der Schweizer Hochschulen. Zudem sind einzelne russische Forschungseinrichtungen direkt von Sanktionen betroffen.
Nicht eindeutig ist die Sache bei den Studierenden. Denn auch wenn jemand an einer sanktionierten russischen Forschungseinrichtung studiert, so ist er selber nicht den Sanktionen unterworfen. Er kann sich also an jeder Schweizer Hochschule bewerben.
Gespräche mit Vertretern verschiedener Hochschulen legen nahe, dass in diesem Bereich Rechtsunsicherheit herrscht. Man mogle sich durch, heisst es inoffiziell an einer Universität, die Sanktionsrichtlinien des Bundes seien keine grosse Hilfe. Und an einer weiteren Hochschule wird erklärt, im Zweifelsfall bestehe immer noch die Option, die Zulassungsbedingungen sehr restriktiv auszulegen.
Einen anderen Weg schlägt die ETH ein. «Wir haben ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, wie Bewerbungen von Studierenden mit einem Abschluss von einer sanktionierten russischen Institution zu beurteilen sind», erklärt Sprecherin Franziska Schmid. Das Gutachten stehe noch aus. Auch die Universität St. Gallen prüft eine neue Rechtsgrundlage, um bei allfälligem Missbrauch von Wissen oder Technologie disziplinarische Massnahmen ergreifen zu können.
Laut einer Umfrage der «NZZ am Sonntag» studieren oder doktorieren derzeit etwas mehr als 1000 Personen mit russischer Nationalität an den 13 grössten Schweizer Hochschulen. Ob sich darunter Studierende befinden, die zuvor an einer sanktionierten Institution studierten, ist nicht bekannt; die Hochschulen machen aus Datenschutzgründen keine weiteren Angaben. Die Abklärungen der ETH zeigen aber, dass sich das Problem offenbar stellt.
Vertiefte Abklärungen
Mehrere Hochschulen haben im laufenden Jahr russische Studierende abgelehnt – weil diese die Zulassungsbedingungen nicht erfüllten, wie es offiziell heisst. So hat die ETH seit dem Frühling vertiefte Abklärungen bei Master-Studenten aus Russland durchgeführt. Nun sind mehrere russische Studierende abgelehnt worden. Die ETH hat dabei Risikoabklärungen vorgenommen und mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sowie dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) kooperiert.
«Mit Risikoabklärungen prüfen wir, ob von einer Bewerberin oder einem Bewerber ein Risiko für einzelne Personen an der ETH, für den Betrieb der ETH oder die Interessen der Schweiz ausgehen könnte», sagt die Sprecherin Schmid. «Diese Abklärungen haben in einzelnen Fällen zu Ablehnungen geführt, auch bei Bewerbungen aus Russland.» Gleichzeitig betont die ETH, die Anzahl von Bewerbungen aus Russland sei mit rund 40 pro Jahr sehr klein. Letztes Jahr studierten 70 russische Studenten an der ETH, 108 waren als wissenschaftliche Assistenten angestellt.
Auch die Universität Bern führt Risikoabklärungen durch und erklärt: «Russische Studierende fallen unter eine Personenkategorie, die mit erhöhter Aufmerksamkeit behandelt wird.» Genauere Angaben macht die Universität «aus sicherheitstechnischen Gründen» nicht – ebenso wenig wie der NDB.
Dieser hat das Präventionsprogramm «Technopol» entwickelt, das sich an Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstitute richtet und der Bekämpfung von Spionage und Proliferation im akademischen Umfeld dienen soll. Die Umsetzung allfälliger Massnahmen liege aber in der Verantwortung der akademischen Institution, betont der NDB.
Kooperationen beendet
Auch wenn jemand von einer Universität aufgenommen worden ist, können weiterhin Restriktionen bestehen. So erklärt die ETH Lausanne, dass Studierende aus gewissen Nationen nicht an Forschungsprojekten teilnehmen dürfen, bei denen Dual-Use-Güter (zivil und militärisch verwendbare Güter) aus den USA benutzt werden. Je nach Technologie könne dies Studierende aus Russland, China, dem Iran oder aus anderen Nationen betreffen.
Auch die Universität Bern erklärt, dass in bestimmten Bereichen das Teilen von Forschungsergebnissen mit Russinnen und Russen genehmigungspflichtig oder verboten ist. «Wir überprüfen derzeit, ob unsere Forschungsprojekte davon betroffen sind. Zudem werden Mitarbeitende und Forschende für die gesetzlichen Beschränkungen sensibilisiert», sagt der Sprecher Ivo Schmucki. Bisher seien mehrere Kooperationen mit Forschenden in Russland beendet worden.
Im Ausland sind seit Beginn des Ukraine-Kriegs Fälle von russischer Spionage an Universitäten aufgeflogen. So stand letztes Jahr ein russischer Doktorand der Universität Augsburg in Deutschland vor Gericht. Der Materialforscher hatte Informationen zu Forschungsprojekten aus der Luft- und Raumfahrttechnologie an einen russischen Geheimdienstoffizier weitergegeben.
Ähnliche Fälle aus der Schweiz sind nicht bekannt – wie auch offen ist, was russische Studierende nach der Rückkehr in ihre Heimat mit dem erworbenen Wissen machen.