DANIEL FOPPA

«Es besteht Grund zur Besorgnis»ta_20150219_widmer_schlumpf

«Es besteht Grund zur Besorgnis»

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf geht davon aus, dass wegen der Frankenaufwertung grössere Anpassungen am Finanzplan des Bundes nötig werden. Dennoch führe kein Weg an der milliardenteuren Unternehmenssteuerreform III vorbei.
Tages-Anzeiger, 19. Februar 2015

Mit Eveline Widmer-Schlumpf sprachen Daniel Foppa und Janine Hosp

Die UBS zahlt keine Gewinnsteuern, wurde vom Staat gerettet und wegen Devisenmanipulationen gebüsst. Nun fordert CEO Sergio Ermotti weniger Steuern und freiere Märkte. Was sagen Sie dazu?
Die Schweiz ist bereits ein guter Wirtschafts- und auch Steuerstandort. Mit der geplanten Unternehmenssteuer­reform III werden wir noch besser.

Ermotti kritisiert den Bundesrat, weil das Finanzdienstleistungsgesetz Überregulierungen bringe und die Aktienrechtsrevision die unternehmerische Freiheit unnötig einschränke.
Wir setzen uns dafür ein, das regulatorische Umfeld demjenigen in Europa anzugleichen. Dies war und ist auch ein ­Anliegen der Banken. Wichtig sind ins­besondere stabile Rahmenbedingungen. Daran arbeiten wir.

Letzte Woche haben Sie für 2014 ein Defizit von 124 Millionen Franken angekündigt. Hinzu kommt die Konjunkturabschwächung wegen der Frankenaufwertung – müssen wir uns an rote Zahlen gewöhnen?
Nein, das müssen wir nicht. Die Situation ist schwierig, aber nicht völlig überraschend. Bereits im Sommer haben wir aufgezeigt, dass es in diese Richtung geht. Wir analysieren die Gründe und legen sie Ende März dem Bundesrat vor.

Ohne Gegenmassnahmen rechnen Sie mit strukturellen Defiziten von 1,4 Milliarden für 2016 und 1,2 Milliarden für 2017. Das sind erschreckende Zahlen.
Der Bundesrat will als Gegenmassnahme das Wachstum bei jenen Ausgaben, die von der unerwartet tiefen Teuerung profitierten, um 3 Prozent kürzen. Zudem soll der Personalbestand für 2016 auf dem Stand von 2015 eingefroren werden. Gleichzeitig ist das Parlament gefordert, das Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspaket anzunehmen. Es besteht Grund zur Besorgnis. Aber kein Grund für Alarmismus.

Laut «SonntagsZeitung» wollten Sie beim Personal noch mehr sparen.
Ich habe eine Plafonierung vorgeschlagen. Kürzen heisst in diesem Fall, nicht so viel Geld ausgeben wie geplant.

Ist die Frankenaufwertung in diesem Finanzplan berücksichtigt?
Es wäre unseriös, bereits jetzt Zahlen zu den Folgen der Frankenaufwertung vorzulegen. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir am Finanzplan noch grössere Anpassungen vornehmen müssen. Ende März wird die Arbeitsgruppe Konjunkturprognosen des Bundes ihre Prognosen aktualisieren. Wir werden, darauf gestützt, bis Ende Juni das Budget überarbeiten.

Es kommt also noch schlimmer.
Das kann man so nicht sagen. Die negative Teuerung wird zwar geringere Steuereinnahmen zur Folge haben. Die Frankenaufwertung bringt aber auch Vorteile – etwa den billigeren Import von Teilgütern. In gewissen Unternehmen wird der Verlust beim Export durch den Gewinn beim Import kompensiert werden. In ein paar Monaten werden wir mehr wissen.

Weiss man dann auch, wie stark die Unternehmenssteuerreform II und die Reform der Familienbesteuerung zum Defizit 2014 beigetragen haben?
Heute wissen wir, dass alle Entlastungen bei den Familien zu Mindereinnahmen von 900 Millionen beim Bund und 2,2 Milliarden bei den Kantonen geführt haben. Wie viel davon auf die Reform von 2011 zurückzuführen ist, wird eruiert. Ebenso wie die Folgen der Unternehmenssteuerreform II.

Bei der Unternehmenssteuerreform II wurden die Steuerausfälle vor der Abstimmung massiv zu tief angegeben. Wie wollen Sie das Parlament und allenfalls das Volk von der Unternehmenssteuerreform III überzeugen?
Die Frage ist nicht, ob wir diese Reform gerne umsetzten. Sondern, was geschieht, wenn wir sie nicht umsetzen. Die internationalen Unternehmen brauchen Klarheit. Ich kenne Firmen, die ausländische Standorte aufbauen, weil aus ihrer Sicht zu viel Unsicherheit besteht, wie sie hier künftig besteuert werden. Vor einer allfälligen Abstimmung werden wir aufzeigen, wie hoch die erwarteten Steuerausfälle sind. Und auch, welche Effekte nicht quantifizierbar sind. So entscheiden die Kantone, wie stark sie die Gewinnsteuern senken. Wir rechnen mit einem Mittel von 16 Prozent – aber jeder Kanton wird die Höhe selber festlegen. Zudem wird die Unternehmenssteuerreform III für mehr Steuergerechtigkeit sorgen.

Inwiefern?
Heute besteuert der Bund den ausgeschütteten Gewinn aus Dividenden zu 60 Prozent. Künftig sollen es 70 Prozent sein. Zudem können Firmen heute ihre Verluste über sieben Jahre verrechnen. Wir schlagen vor, dass sie künftig jedes Jahr mindestens 20 Prozent des Gewinns versteuern müssen. Das würde verhindern, dass gewisse Unternehmen wie heute über viele Jahre trotz Gewinn keine Gewinnsteuern zahlen.

Müsste man die Verlustverrechnung nicht grundsätzlich diskutieren? Derzeit können Banken auch Bussen von den Steuern abziehen.
Die Berücksichtigung von Verlusten ist richtig. Sie stellt sicher, dass Unternehmen gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Eine andere Frage ist hingegen, ob Bussen steuerlich abzugsfähig sein sollen. Solche Bussen bestehen aus einer Wert­abschöpfungskomponente und einer eigentlichen Busse für das strafbare Handeln. Praxis des Bundes ist es, dass die Wertabschöpfung von den Steuern abgezogen werden kann – die Busse aber nicht. Auch einzelne Kantone handhaben das so. Gesetzlich festgehalten ist diese Praxis jedoch nicht, was vom Verwaltungsgericht Zürich bemängelt wurde. Wir arbeiten deshalb an einem Gesetzesvorschlag, um diese Praxis auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene festzusetzen. Denn es ist schlicht nicht haltbar, eigentliche Bussen von den Steuern abzuziehen.

Wann wird der Bundesrat diesen Gesetzesvorschlag vorlegen?
Die Vorarbeiten sind derzeit im Gang. Ein konkreter Zeitpunkt, wann die Änderungen vorgelegt werden, steht noch nicht fest.

Wer soll die Unternehmens­steuerreform III finanzieren, die voraussichtlich zu Ausfällen von 1,7 Milliarden führt? Firmen und Aktionäre mit der Kapital­gewinnsteuer oder die Allgemeinheit?
Am Ende muss es ein vernünftiger Mix sein: Bis 2019 wollen wir einen strukturellen Überschuss von 1 Milliarde aufbauen. Sparmassnahmen sind dazu vorerst keine notwendig. Aber einige Ausgaben werden weniger stark wachsen. Auf der Einnahmenseite stehen Massnahmen wie die Kapitalgewinnsteuer zur Diskussion. Ob es am Ende wirklich die Kapitalgewinnsteuer sein wird, die als Gegenfinanzierung geeignet wäre, ist offen.

Werden natürliche Personen wegen der Unternehmenssteuerreform III mehr Steuern zahlen müssen?
Wenn wir es schaffen, strukturelle Überschüsse aufzubauen, nicht unbedingt. Ich wehre mich jedenfalls dagegen, dass wir die Reform über die Mehrwertsteuer finanzieren. Wir brauchen sie für die AHV. Am Ende wird das Parlament entscheiden, welche der vorgeschlagenen Massnahmen umgesetzt werden sollen. Wir haben bewusst alle Ideen in die Vernehmlassung aufgenommen, die ernsthaft diskutiert worden sind. Denn wir wollten nicht riskieren, dass im Parlament jemand mit einer neuen Idee kommt – und wir unter Umständen nochmals eine Vernehmlassung durchführen müssen.

Haben Sie aus dem Fehler Ihres Vorgängers Hans-Rudolf Merz gelernt, der beim Steuerpaket den Ausgleich der kalten Progression vergessen hatte?
Ich habe mir überlegt: Wo wurden Fehler gemacht, die nicht nochmals gemacht werden müssen? Die Vernehmlassung zur Verrechnungssteuer mussten wir zum Beispiel wiederholen, weil die Kommission neue Vorschläge geprüft haben wollte.

Bei der Unternehmenssteuerreform III eilt es – die Unsicherheit unter den Firmen ist gross.
Ich führe oft Gespräche mit CEO von multinationalen Firmen. Ich erkläre ihnen, was wir aus politischer Sicht unbedingt in der Reform haben müssen. Sie sagen mir, was für sie auf keinen Fall geht. Sobald das Geschäft im Parlament ist, haben sie einen besseren Stand gegenüber ihrer Muttergesellschaft. Dann sehen sie, dass es vorwärtsgeht.

Sie sagten, ein Eurokurs über 1.10 Franken wäre verkraftbar. Der Franken aber verharrt nahe der Parität. Was kann der Bund tun?
Bis im Juni werden wir abklären, welche Massnahmen allenfalls infrage kommen. Aber Konjunkturmassnahmen sind meist zu wenig zielgerichtet, um jene Unternehmen zu unterstützen, die darauf angewiesen sind.

Interveniert die Nationalbank eigentlich weiterhin, um den Frankenkurs zu stützen?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist Sache der Nationalbank.

Aber Sie wissen es.
Ich kann Ihnen nicht sagen, was die Nationalbank tut. Sie entscheidet selber, und das ist gut so.

Die Steuerbelastung ist inzwischen zum Grosskampfplatz geworden. Reiche Kantone wie Zug rebellieren gegen den Finanzausgleich. Was muss geändert werden?
Nichts. Der Finanzausgleich ist eine Erfolgsgeschichte. Er richtet sich nach den möglichen Ressourcen eines Kantons und nicht nach seinen Steuererträgen.

Aber der Widerstand ist heftiger als früher: Zug überlegt sich, einen Teil seiner Beiträge auf ein Sperrkonto einzuzahlen.
Das hängt damit zusammen, dass die Nehmerkantone nicht akzeptieren wollen, dass das System richtig ist und so funktioniert – und dass deshalb weniger Geld umverteilt werden kann. Ich verstehe den Unmut der Geberkantone.

Der Bund würde wohl mehr Steuern einnehmen, wenn er nicht mehr allen Eltern Steuerabzüge gewährte, sondern wenn jene, die tatsächlich darauf angewiesen sind, eine Gutschrift bekämen.
Wir arbeiten an einem Bericht, in dem wir prüfen, ob wir die heutigen Steuerabzüge durch Gutschriften ersetzen sollen. Wenn man nicht einfach neue Abzüge erfinden will, muss man zu solchen Systemen wechseln. Und zwar nicht nur bei Familien, sondern grundsätzlich. Eltern mit höheren Einkommen profitieren viel stärker von Abzügen als jene mit tiefem Einkommen. Bekommen die Eltern hingegen für jedes Kind eine Gutschrift, ist dies viel gerechter.

Das ist ein sehr linkes Anliegen, das Sie als BDP-Mitglied unterstützen.
Das haben wir in der Finanzdirektorenkonferenz schon vor zehn Jahren diskutiert. Da war ich selber noch in der SVP und für Steuergutschriften – wie auch andere bürgerliche Finanzdirektoren.

Sie sollen eine entschiedene Gegnerin der gescheiterten Union von BDP und CVP gewesen sein.
Die Union mit der CVP wurde in den Kantonalparteien diskutiert. Diese waren mehrheitlich dagegen. Sie wollten selbstständig bleiben und ein eigenes Profil behalten.

Haben Sie sich persönlich gegen die Union eingesetzt?
Das war eine Diskussion zwischen den Kantonalparteien und den Spitzen der Fraktionen von BDP und CVP. Ich bin nicht Mitglied der Fraktion.

Sie wollen sich also nicht zu Ihrer Rolle beim Scheitern der Union äussern. Ihre politische Zukunft ist jedoch eng mit jener der BDP verknüpft. Stellen Sie sich im Dezember der Wiederwahl – egal, wie die BDP bei den Wahlen abschneidet?
Das werde ich zum gegebenen Zeitpunkt bekannt geben. Es gibt zentralere Probleme in diesem Land, über die man reden muss, als meine Wiederwahl.

 

 

 

 

Nach oben scrollen