Daniel Foppa
Als Berner Löwe aus Bayern hat er sich bezeichnet, getrieben von brennendem Ehrgeiz und dem Drang, stets der Beste zu sein: Uwe Jocham, Apotheker aus München, hat es weit gebracht – und ist tief gefallen. Am Donnerstag verkündete der Verwaltungsrat der Berner Insel-Gruppe die Freistellung von CEO Jocham und dessen Stellvertreter. Begründung: Jocham habe das Vertrauen von Mitarbeitern und Kader verloren.
Bereits Jochams Aufstieg an die Spitze der grössten Schweizer Spitalgruppe erfolgte auf kuriose Weise. Es war der Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg, der ihn unbedingt in dieser Position wollte. Der SVP-Politiker zwang 2017 den damaligen Verwaltungsratspräsidenten zum Abgang und hievte Jocham in das Amt. Für den Münchner war dies nicht genug, er wollte gleichzeitig CEO sein. Der Verwaltungsrat, also das Gremium, das Jocham selber präsidierte, willigte nach anfänglichem Widerstand ein: Er schickte den bisherigen CEO in die Wüste, installierte Jocham ohne Auswahlverfahren als Nachfolger und erhöhte den Lohn um 170 000 Franken auf 670 000 Franken. Erst die Politik stoppte das Doppelmandat, und Jocham begnügte sich mit dem Posten des CEO.
Weshalb Schnegg Jocham unbedingt wollte, bleibt ungeklärt. Möglicherweise spielte eine Rolle, dass Jocham Schneggs Wahlkampf unterstützte. Jedenfalls verfügte Jocham über keine Erfahrung bei der Führung eines Unternehmens von der Komplexität eines Universitätsspitals, und er hatte seinen Chefposten beim früheren Arbeitgeber CSL Behring im Unfrieden verlassen. Auch akademische Meriten konnte Jocham nicht vorweisen – im Gegenteil. 2015 erklärte er im Interview mit der Sendung «Die Macher», er habe doktoriert, was nachweislich falsch ist.
Sehr gelegen kam Jocham deshalb der Umstand, dass ihm die Universität Bern einen Tag nach seinem Amtsantritt an der Insel den Ehrendoktor verlieh. Bis heute wird in akademischen Kreisen darüber gerätselt, wofür Jocham die Auszeichnung eigentlich erhalten hat. Jocham selbst nennt sich seither «Dr. med. h. c.» und insinuiert so, einen ärztlichen Doktortitel zu führen. Getreu seiner Aussage im erwähnten Interview: «Ein Apotheker ist ja auch ein bisschen ein Arzt.»
Die Macht zelebriert
Von Beginn an eckte Jocham mit seinem Führungsstil an. «Er thronte im Chefbüro und duldete keine anderen Könige neben sich», sagt ein früherer Insel-Mitarbeiter. Selbst für höhere Kader sei er kaum erreichbar gewesen, interne Kritiker erhielten Verweise. Jocham zelebrierte seine Macht und verkündete grosse Pläne: Er trug wie Nicolas Hayek zwei teure Uhren am Handgelenk und erklärte, er wolle das Inselspital zu einem der weltbesten Spitäler machen und den ganzen Kanton Bern voranbringen. Tatsächlich aber ging es mit dem Spital bergab. Im internationalen «Newsweek»-Ranking liegt das Inselspital inzwischen auf Platz 207, weit hinter den übrigen Schweizer Universitätsspitälern.
Spitzenleute wie der Herzchirurg Thierry Carrel und viele Pflegepersonen kehrten der Insel den Rücken. Von Mobbing, verängstigten Mitarbeitern und zerstörtem Vertrauen war die Rede. Der Berner SVP-Politiker Thomas Knutti übte 2022 in einem Vorstoss scharfe Kritik an Jocham. Er sprach von einer «dramatischen Verschlechterung der Betriebskultur», warf Jocham fehlende Fachkenntnisse sowie einen «völlig veralteten patronhaften Führungsstil» vor.
Mitverursacht wurde die Kritik durch zwei unpopuläre Massnahmen. Jocham deckelte auf Geheiss des Verwaltungsrats die Löhne der Chefärzte, und er schloss die zur Insel-Gruppe gehörenden Spitäler Tiefenau und Münsingen. Während mit den Lohnbeschränkungen Fehlanreize beseitigt wurden, sind sich Kritiker uneins, inwiefern die Spitalschliessungen zu tieferen Gesundheitskosten führen. Denn ein Ziel der Schliessungen war, die Auslastung des neuen Hauptgebäudes am Inselspital zu erhöhen – wo die Behandlungen teurer sind als in den Regionalspitälern. Jedenfalls ist der Plan nicht aufgegangen: Das Inselspital verzeichnete 2022 ein Defizit von 80 Millionen Franken, letztes Jahr waren es 113 Millionen, und für dieses Jahr wird ein noch höherer Verlust erwartet. In die Gegenrichtung zeigten einzig die Patientenzahlen, während die Kritik wie das Defizit stetig zunahm: Anfang Jahr bemängelten die Geschäftsprüfer des Berner Kantonsparlaments die Betriebskultur des Spitals. Mitte März bestätigten ehemalige Insel-Mediziner die Vorwürfe, und Ende Monat kritisierten 42 Klinikdirektoren und Chefärztinnen die Führung des Inselspitals massiv.
Ohne Gegenmassnahmen sahen sie nicht weniger als die Patientenversorgung gefährdet. Es dürfte wohl dieses geballte Misstrauensvotum gewesen sein, das letztlich den Ausschlag für Jochams Freistellung gab. Als schliesslich SRF Anfang dieses Monats berichtete, das Inselspital verwende Forschungsgelder, um Finanzlöcher zu stopfen, war der Entscheid zu Jochams Ablösung bereits gefallen. Den CEO selber traf die Freistellung unvorbereitet.
Politik um der Politik willen
Nach dem abrupten Abgang, der mit einem Jahresgehalt versüsst wird, wollte sich Jocham nicht mehr äussern. Dafür steht Bernhard Pulver Red und Antwort. Der Verwaltungsratspräsident übernimmt zusammen mit Christian Leumann, bisher Rektor der Universität Bern, interimistisch die Direktion. Sind ein grüner Ex-Regierungsrat und ein Ex-Rektor, die als Verwaltungsratsmitglieder mitverantwortlich für die Misere zeichnen, die richtigen Leute, um den grössten Schweizer Spitalbetrieb aus der Krise zu führen?
Ja, findet Pulver: «Es wäre verantwortungslos, auch zu gehen, dann wäre das Spital führungslos. Zudem habe ich das Vertrauen von Regierungsrat Schnegg.» Und Leumann sei geeignet als Brückenbauer zwischen dem akademischen Betrieb und dem Spital. Pulver lässt durchblicken, dass sich der Verwaltungsrat schon länger Gedanken um Jochams Ablösung gemacht habe, dass man aber zunächst die Einführung des neuen IT-Systems Epic abwarten wollte. Das 83 Millionen teure System, das im Kantonsspital Luzern genutzt wird und dort für viel Kritik sorgte, muss ein Erfolg werden, will sich die Insel nicht ein weiteres kostspieliges Problem aufhalsen. Die ersten Erfahrungen mit Epic seien durchzogen, hört man aus der Insel. Pulver und Leumann wollen höchstens ein Jahr im Amt bleiben. Regierungsrat Schnegg lässt derweil ausrichten, Jochams Absetzung sei «verständlich», da das Führungsteam viele Projekte abgeschlossen habe.
Weit weniger gelassen wird der Entscheid im Umfeld der Insel aufgenommen. Eine Spitalgruppe mit 11 000 Mitarbeitern in einer solchen Situation in die Hände von zwei unternehmerisch unerfahrenen Personen zu legen, sei fahrlässig. Leumann fehlten als Rektor und Biochemiker zudem die Erfahrung im Spitalbetrieb. Bei den Chefärzten gehen die Meinungen auseinander, ob er aufgrund seiner Mitwirkung im Verwaltungsrat und seiner Interaktionen mit der Ärzteschaft die richtige Person in dieser Position sei.
«Es ist völlig unverständlich, dass dieses Duo übernimmt», sagt der Berner Gesundheitsexperte Heinz Locher. Pulver habe als Verwaltungsratspräsident versagt und könne nicht den Turnaround herbeiführen. Auch Schnegg müsse in den Ausstand treten, sei er doch der Oberverantwortliche für die Krise. Locher anerkennt, dass ein Teil der Probleme systembedingt ist, kämpfen doch viele Spitäler mit finanziellen Problemen. «Der selbstverschuldete Anteil an der Krise ist jedoch sehr hoch», betont er. Eine externe Übergangslösung wäre deshalb zwingend gewesen. Für Locher steht fest: «Was jetzt gemacht wurde, ist eine Politique politicienne: blosse Politik um der Politik willen.»
Das alles muss Uwe Jocham nicht mehr kümmern. Er hat das Spital verlassen, wie er angetreten war – mit einem Knall. An der Insel selbst dürfte derweil noch länger keine Ruhe einkehren.