DANIEL FOPPA

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Ein Mittel gegen Scharfmacher

Unsichere Zeiten sind ein Nährboden für Populisten. Dagegen helfen kann unser direktdemokratisches System. Denn zu dessen Wesen passen Extremforderungen nicht.
Tages-Anzeiger, 30. Juli 2016

Daniel Foppa

«Die Welt ist eine Pulverfabrik, in der das Rauchen nicht verboten ist», hat Friedrich Dürrenmatt einst gesagt. Und damit unsere momentane Sicht auf das Zeitgeschehen vorweggenommen: Wir sind uns bewusst, dass das Unheil jederzeit in den Alltag einbrechen kann. Dieser Sommer führt uns einmal mehr vor Augen, wie verletzlich die freiheitliche Gesellschaft und wie unsicher die globale politische Entwicklung ist.

Mittendrin feiert die Schweiz ihren Nationalfeiertag. Das Land ist bisher von Anschlägen verschont geblieben, doch die Terrorakte und Amokläufe treffen auch uns. Es sind auch unsere Werte, die die Angreifer in ihrem fundamentalistischen oder pathologischen Wahn attackieren. Ein bedeutender Unterschied zur Situation in den Nachbarländern ist jedoch, dass sich die Stimmbürger just in diesem Jahr zu den beiden Themen äussern, die derzeit Europa umtreiben: Wir haben im Juni mit der Abstimmung über das Asylgesetz die Flüchtlingspolitik neu justiert. Und wir werden am 25. September darüber befinden, ob der Staatsschutz mehr Kompetenzen erhalten soll – unter anderem zur Überwachung potenzieller Terroristen.

Möglichst hohe Legitimation

Der nun einsetzende Abstimmungskampf über das Nachrichtendienstgesetz wird im Idealfall zum Diskurs über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Denn die Vorlage wirft die brennend aktuelle Frage auf, wie stark zur Terrorabwehr in die Grundrechte der Bürger eingegriffen werden darf. Diese Diskussion wird derzeit europaweit geführt – in Parlamentsausschüssen, auf Feuilletonseiten und in Freundeskreisen. Bei uns jedoch steht am Schluss der Debatte das konkrete Handeln, die Stimmabgabe und damit die Übernahme von Verantwortung.

Natürlich ist der Beitrag des Einzelnen bescheiden, und über die Hälfte der Stimmberechtigten geht in der Regel nicht an die Urne. Entscheidend ist jedoch, dass diese Möglichkeit der Einflussnahme besteht. Gerade in schwierigen Zeiten muss staatliches Handeln eine möglichst hohe demokratische Legitimation besitzen. Dann kann die Stimmungsmache gegen das Handeln der Behörden als solche entlarvt werden, denn diese setzen Beschlüsse der Mehrheit um.

So kann die SVP die Schweizer Flüchtlingspolitik trotz steigender Kosten und mehr Asylgesuchen nicht in Bausch und Bogen verwerfen, denn diese ist vom Volk gewollt. Die Linke wird ihrerseits nach der Abstimmung vom September wohl damit leben müssen, dass der Staatsschutz neue Befugnisse erhält.

Anders ist die Situation in Deutschland. Dort wird inzwischen auch von links aussen Kritik an der couragierten Flüchtlingspolitik der Kanzlerin laut, und selbst Politiker aus den eigenen Reihen erachten Merkels Handeln als zu wenig demokratisch legitimiert. Die Schere zwischen offizieller Politik und der Stimmung auf der Strasse öffnet sich gefährlich. Das Land ist derzeit so anfällig für Populismus wie seit Jahren nicht mehr.

Allerdings ist es auch in der Schweiz nicht so, dass die Mittel der direkten Demokratie stets im Hinblick auf möglichst vernünftige Lösungen eingesetzt werden. Die letzten Jahre haben die Nachteile einer entfesselten Initiativdemokratie aufgezeigt, die zu Mehrheiten für rechtsstaatlich und völkerrechtlich problematische Begehren führten. Auch waren es zunehmend Regierungsparteien, die Volksinitiativen lancierten. Das aber entspricht nicht der Idee des vor 125 Jahren als Korrektiv zur Politik der Behörden eingeführten Instruments. Jüngst klagten denn auch Wirtschaftsverbände, die hohe Kadenz von Initiativen schade der Stabilität und der Berechenbarkeit des Landes.

Abwehrkräfte stärken

Die direkte Demokratie wird besonders dann unberechenbar, wenn Bürger den Urnengang primär zur Missfallensbekundung nutzen oder Initianten mit Radikalforderungen aufwarten. Noch ist offen, ob das Nein zur Durchsetzungsinitiative und der Rückgang der Anzahl eingereichter Initiativen eine Trendwende zurück zu mehr Augenmass eingeleitet haben.

Derweil erleben wir einen Sommer, in dem weltweit so einiges aus den Fugen zu geraten scheint. Wir selber sehen dem Geschehen aus relativ sicherer Distanz zu und sind ohne Einfluss auf globale Entwicklungen. Handlungsunfähig sind wir jedoch nicht, denn wir können regelmässig zu den drängendsten Problemen Stellung beziehen. Eine Gesellschaft, die eine Wertedebatte führt und an der Urne darüber befindet, stärkt ihre Abwehrkräfte gegen all die Scharfmacher, die nun ihre Zeit gekommen sehen. Damit kann unser von unten gesteuertes Politsystem, das alle Kräfte einbindet, Rücksicht auf Minderheiten nimmt und zu dem Extremforderungen nicht passen, als Modell gegen Überreaktionen und Fatalismus dienen. Es ist an uns, dazu Sorge zu tragen.

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