Daniel Foppa
Wir passen nicht sonderlich gut zusammen: Hier der direktdemokratische Kleinstaat, in dem minime Verschiebungen der Parteienstärke bereits als politisches Erdbeben gelten, dort der 450-Millionen-Staatenbund im wirtschaftlichen und politischen Krisenmodus. Dass Italien derzeit die stabilste Regierung unserer Nachbarländer aufweist, sagt viel über den derzeitigen Zustand der EU aus. Entsprechend tun wir uns schwer mit dieser Partnerschaft: Mal knallen wir der EU die Türe vor der Nase zu, mal umarmen wir uns wie am Freitag in Bern. Diese On-off-Beziehung ermüdet, und so mancher hat inzwischen genug vom europapolitischen Diskurs.
Die Positionierung in dieser Schicksalsfrage ist denn auch schwierig. Wie schwierig, zeigte sich am Freitag: Je länger der Tag dauerte, desto mehr wurden die Tücken des Verhandlungsergebnisses offensichtlich. Spätestens als Bundesrat Beat Jans vor den Medien damit scheiterte, das Funktionieren der Schutzklausel zu erläutern, waren die salbungsvollen Worte der Präsidentinnen Ursula von der Leyen und Viola Amherd vergessen. In solchen Momenten mag es verlockend erscheinen, sich wie die SVP auf die negativen Punkte des Abkommens zu konzentrieren, um das Paket in Bausch und Bogen zu verwerfen. Und die Ängste vor drohenden negativen Folgen für die Wirtschaft mit dem Verweis auf Unternehmerpersönlichkeiten wie Magdalena Martullo-Blocher oder die Partners-Group-Gründer wegzuwischen, die ja auch dagegen sind. Aber ist das die nüchterne Analyse, die es nun braucht?
Fakt ist, dass eine Ablehnung der Verträge unseren Zugang zum EU-Binnenmarkt verschlechtert. Damit würden wir viel riskieren: 50 Prozent unserer Exporte gehen in die EU, und Brüssel hat angekündigt, ohne institutionelles Abkommen die bestehenden Verträge erodieren zu lassen. Die Folgen wären höhere Kosten und mehr Bürokratie für die Exportindustrie sowie der Verlust von Arbeitsplätzen in der Schweiz. Auf das EWR-Nein von 1992 reagierte unser Land mit freiwilliger Rechtsübernahme und zwei bilateralen Verhandlungspaketen. Nochmals würde sich die EU jedoch nicht darauf einlassen. Ein Nein zu den neuen Verträgen wäre deshalb ein Vabanquespiel in global unruhigen Zeiten.
Doch auch ein Ja hat seinen Preis. Der Zugang zum EU-Binnenmarkt kostet uns neu 350 Millionen Franken pro Jahr, und wir müssen unter Androhung von Ausgleichsmassnahmen EU-Recht dynamisch übernehmen. Eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung, wie sie in unserer Verfassung steht, wird es weiterhin nicht geben. Zwar soll die Schutzklausel griffiger werden, aber ob sie je eine dämpfende Wirkung entfalten wird, bleibt höchst fraglich. Positiv sind dagegen die auf die Schweiz zugeschnittenen Ausnahmen bei der Unionsbürgerrichtlinie und den staatlichen Beihilfen oder die wieder mögliche Teilnahme an EU-Forschungsprogrammen.
Insgesamt sind die Verträge damit besser als das gescheiterte Rahmenabkommen, und aus jetziger Sicht überwiegen die Vorteile. Allerdings sollte der Bundesrat den FDP-Vorschlag aufnehmen und das Abkommen mit einer Opting-out-Klausel versehen. Damit würden die Verträge bei einer Annahme durch das Volk nach einer gewissen Zeitspanne erneut dem fakultativen Referendum unterstellt, so wie es bei den Bilateralen I der Fall war. Wir wüssten dann, ob sich die Verträge in der Praxis – zum Beispiel bei Ausgleichsmassnahmen der EU – bewährt haben oder nicht. Und könnten sie notfalls künden.
Eine solche Option würde die Chancen des Abkommens an der Urne erhöhen. Und das ist bitter nötig. Denn die Befürworter haben das Feld bisher den Gegnern der Verträge überlassen und müssen einen grossen argumentativen Rückstand aufholen. Ihre Wortmeldungen seit Freitag lassen noch viel Luft nach oben erkennen: Wolkig schwärmen sie von Weitsicht, einem Befreiungsschlag oder dem Ausweg aus der Sackgasse. Damit gewinnt man keinen Abstimmungskampf – erst recht nicht in der Europapolitik.
Denn die Debatte, wie souverän ein Kleinstaat in einer vernetzten Welt noch sein kann, ist essenziell für unser Land. Und anfällig für einen emotionalen Diskurs der Schlagworte, wie vergangene Urnengänge zeigten. Im Unterschied zu den kurzen Abstimmungskämpfen vor der EWR- und der Masseneinwanderungs- Abstimmung steht uns dieses Mal jedoch viel Zeit bis zum Volksentscheid zur Verfügung. Wir sollten sie dafür nutzen, die Vor- und Nachteile der Verträge abzuwägen. Eingehend und mit kühlem Pragmatismus.