DANIEL FOPPA

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Der Spion, der aus den Alpen kam

Er liess das österreichische Heer ausspionieren, kaufte in Irland eine Fluchtburg für den Bundesrat und schrieb das «Zivilverteidigungsbüchlein». Nun ist Ex-Oberst Albert Bachmann mit 81 Jahren verstorben.estorben.
Tages-Anzeiger, 21. April 2011

Daniel Foppa

Es ist der 19. November 1979, halb drei Uhr nachts. In einem abgestellten Wagen bei St. Pölten, Österreich, sitzt der Schweizer Betriebsberater Kurt Schilling. Ausgerüstet mit Feldstecher, Landkarte und Notizblock, starrt er ins Dunkle. Plötzlich tauchen Soldaten des österreichischen Bundesheers auf. Sie nehmen an einem Manöver teil und inspizieren das verdächtige Fahrzeug. Doch statt wie erwartet auf ein Liebespaar stossen sie auf einen sichtlich gut informierten Schweizer. Als Schilling den Soldaten sogar sagt, wo sich die Stellungen des Gegners befinden, melden sie ihn der Staatspolizei. Schilling wird überwacht und drei Tage später verhaftet.

Vor Gericht stellt sich heraus, dass Schilling ausspionieren sollte, wie lange Österreich einem Angriff der Sowjets standhalten konnte. Weil er derart stümperhaft vorgegangen war, wird er bloss zu fünf Monaten bedingt verurteilt und abgeschoben. Die Presse giesst Spott und Hohn über den Schweizer Spion, und Militärvorsteher Rudolf Gnägi spricht von einem «bedauerlichen Einzelfall».

Ein Treppenwitz der Geschichte

Die Affäre bleibt als Treppenwitz der Geschichte in Erinnerung. Sie ist symptomatisch für das Wirken jenes Mannes, der Schilling den Spionageauftrag erteilt hatte und der als abenteuerliche Figur durch die Geschichte der Schweiz im Kalten Krieg irrlichtert: Oberst im Generalstab Albert «Bert» Bachmann.

Der 1929 geborene Bachmann wächst in Zürich in einfachen Verhältnissen auf, wird Buchdrucker und Mitglied der PdA-Organisation Freie Jugend. Nach dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei ändert er seine Überzeugung definitiv. 1969, inzwischen Major im Generalstab, sorgt Bachmann für Aufsehen: Er ist Hauptautor des «Zivilverteidigungsbüchleins», das allen Haushalten zugestellt wird. Die Fibel soll die Schweizer Bevölkerung lehren, wie man sich gegen eine Besatzungsmacht wehrt. Gefahr droht dabei nicht nur vom Feind, sondern auch von Linken, Pazifisten und Intellektuellen. Anhand der Figur «Adolf Wühler» zeigt Bachmann, wie subversive Objekte mit dem Feind kollaborieren und was Patrioten wie «Wilhelm Eiferli» dagegen tun müssen. 2,6 Millionen Exemplare werden gedruckt. Bachmann erhält ein Millionenhonorar.

Kritiker verulken die rote Fibel als «Schweizer Mao-Bibel». Sie führt dazu, dass Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und weitere Autoren den Schweizer Schriftsteller-Verein (SSV) verlassen und die Gruppe Olten gründen, denn SSV-Präsident Maurice Zermatten hatte an der Broschüre mitgearbeitet.

Der Mann für Spezialmissionen

Bachmann wird zum Oberst in der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (Una) befördert. Ihm unterstehen drei Geheimorganisationen: das «Büro Ha», ein von Hans Hausamann im Zweiten Weltkrieg gegründeter privater Nachrichtendienst, ein «Spezialdienst» (Spez D), der sich auf den Widerstand gegen eine Besatzungsmacht vorbereitet, und ein «Ausserordentlicher Nachrichtendienst». Bachmanns Leute werden an der Pistole ausgebildet, lernen Chiffrieren, Aufklären und das Herstellen von Flugblättern. Bergführer werden verpflichtet, um wichtige Personen falls nötig über die Alpen zu retten.

Aus Bachmanns Spez D entsteht die im Zuge der Fichenaffäre aufgeflogene Geheimtruppe P-26. Eine Parlamentarische Untersuchungskommission kommt 1990 zum Schluss, die mit Waffen und Sprengstoff ausgestattete P-26 sei zwar verfassungskonform gewesen, habe aber eine potenzielle Gefahr für die verfassungsmässige Ordnung dargestellt.

Dank seiner stramm antikommunistischen Haltung geniesst Bachmann alle erdenklichen Freiheiten. Offiziell ist er mit «Spezialmissionen» betraut. Was das heisst, wird erst Jahre später dank mehrerer parlamentarischer Untersuchungen teilweise publik: Bachmann, der in der Una ein Chaos anrichtet, setzt seine Leute in befreundeten Nachbarländen ein und ist selbst vermehrt auf geheimer Mission unterwegs. So taucht er während des Biafrakriegs in Nigeria auf und gibt sich als Engländer «Henry Peel» aus. Ohne Wissen des Bundesrats und mithilfe privater Spender kauft Bachmann in Irland einen Landsitz, wohin die Landesregierung im Kriegsfall hätte evakuiert werden sollen.

Militär-Mercedes in Flammen

Weitere Vorwürfe erhebt der Luzerner CVP-Nationalrat Alfons Müller-Marzohl in einem Bericht. So habe Bachmann in Biafra mit Waffen gehandelt und Gelder vom Schah von Persien erhalten. Müller-Marzohl wird von Militärminister Gnägi und bürgerlichen Politikern verunglimpft. Eine Kommission unter Vorsitz des späteren FDP-Militärministers Jean-Pascal Delamuraz bestätigt die Vorwürfe nicht. Bachmann sei ein fähiger Nachrichtenmann gewesen, aber für die Cheffunktion im Nachrichtendienst ungeeignet. Laut der Kommission Delamuraz war Bachmann zu risikofreudig gewesen und habe sich der Kontrolle entzogen.

Bachmann selbst pflegt sein Image als geheimnisvoller Nachrichtenoffizier. Er kleidet sich wie ein Lord, raucht Pfeife und sagt, er sei der «einzige Generalstabsoffizier mit Schnauz und einer Tätowierung am Oberarm». Ein «Blender» sei Bachmann gewesen, sagt der frühere SP-Chef Helmut Hubacher: «Die antikommunistische Hysterie führte dazu, dass Bachmann so viel Narrenfreiheit besass und so lange ernst genommen wurde.»

1969 geht Bachmanns Militär-Mercedes in Flammen auf. Der Anschlag wird nie geklärt. Das Gerücht geht um, Bachmann habe das Attentat selbst inszeniert. Militärhistoriker Felix Nöthiger, der eine Bachmann-Biografie schreibt und an einem Film über ihn arbeitet, weist das entschieden zurück: «Bachmann hatte viele Feinde und wurde bedroht.» Laut Nöthiger war Bachmann ein «kreativer Macher und kein Verwalter». Vielen Generalstabsoffizieren sei er wegen seiner einfachen Herkunft und der roten Jugend suspekt gewesen.

Schliesslich kostet die Affäre Schilling Bachmann den Job. «Das war ein Bauernopfer», sagt Nöthiger. Militärminister Gnägi habe den Intimfeind der Linken in die Wüste geschickt, um die Lage zu beruhigen. Bachmann wird frühzeitig pensioniert, geht laut einer zuverlässigen Quelle aber auch danach beim Militärdepartement ein und aus und bleibt nachrichtendienstlich tätig. Schliesslich lässt er sich in Irland nieder. Dort verstarb Albert Bachmann am 12. April.

Eine umfassende Darstellung der Affäre Schilling/Bachmann veröffentlichte Markus Ahmadi im Buch «Die Schweiz und ihre Skandale». Limmat Verlag 1995.

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