DANIEL FOPPA

Der Reiz des Radikalen

Der Reiz des Radikalen

Die politische Linke startet unter dem Wortführer Pierre-Yves Maillard mit einer Kampfansage in das entscheidende Politjahr 2024. Die Bürgerlichen sind gefordert.
NZZ am Sonntag, 6. Januar 2024

Daniel Foppa

Es war ein Abschied auf Zeit. SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard verliess an diesem Novemberabend 2004 mit einer roten Nelke in der Hand das Bundeshaus, denn er war in die Waadtländer Regierung gewählt worden. Doch man wusste: Dieser Mann wird zurückkehren. Und nach Höherem streben.

Das ist nun eingetroffen: Maillard ist Gewerkschaftschef, Ständerat und Einflüsterer der neuen SP-Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider. Bei den entscheidenden Herausforderungen des Landes – der Reform der Altersvorsorge, der Gesundheits- und der Europapolitik – spielt der Romand damit eine Schlüsselrolle.

Maillard ist eine politische Wucht. Eine Mischung aus Christoph Blocher und Jacqueline Badran, ein Schnelldenker im Angriffsmodus. Entsprechend politisiert er: Die AHV will er ungeachtet aller demografischen Realitäten nach dem Giesskannenprinzip ausbauen, einen entscheidenden Kompromiss zur Dämpfung der Gesundheitskosten bekämpft er, und in der Europapolitik droht er noch vor Verhandlungsbeginn mit Totalblockade.

Das Problem an Maillards radikalen Plänen: Sie kommen gut an. Wenn immer mehr Menschen sich fragen, wie sie Miete und Krankenkassen bezahlen sollen und ob ihre Renten sicher sind, verfängt solcher Linkspopulismus. Maillards Botschaft lautet Umverteilung. Das ist einfacher zu vermitteln, als die Probleme an der Wurzel anzugehen.

Zweifellos hat es seinen Reiz, in schwierigen Zeiten den Robin Hood zu geben. Und wenn Maillard im Interview mit dieser Zeitung sagt, dass sich immer mehr Menschen abgehängt fühlen, ist das ernst zu nehmen. Nun haben es Populisten von links wie von rechts aber an sich, dass sie zwar gut im Benennen von Problemen sind – im Lösen derselben aber regelmässig versagen. Das weiss niemand besser als Maillard selbst, der als Regierungsrat immer dann erfolgreich war, wenn er sich kompromissbereit gab.

Zu den Eigentümlichkeiten unseres Landes gehört es, dass wohlklingende, aber nicht durchdachte Versprechen an der Urne scheitern. Während Sie anderswo mit dem Versprechen für mehr Ferien, ein bedingungsloses Grundeinkommen oder kürzere Arbeitstage Wahlen gewinnen, gucken Sie bei uns als Promotor solcher Verlockungen in die Röhre.

Doch jetzt könnte die Kombination von schwieriger Wirtschaftslage, einer SP-Innenministerin mit dem Gewerkschaftsboss im Seitenwagen und wichtigen Urnengängen dazu führen, dass diese Regel gebrochen wird. Und dass die Sanierung unserer Sozialwerke in weite Ferne rückt, zum Schaden der kommenden Generationen.

Reagieren auf diese Füllhornpolitik müssen die Bürgerlichen. An ihnen ist es, mit besseren Argumenten und Lösungsvorschlägen zu punkten. Den Beginn dieser Auseinandersetzung haben sie schon einmal vergeigt, als sie bei der Departementsvergabe das Innendepartement der SP überliessen. Mit Maillards Ansage ist das entscheidende Politjahr 2024 definitiv eröffnet. Man darf gespannt sein.

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