DANIEL FOPPA

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Der Preis der direkten Demokratie

Die Rentenreform orientiert sich am politisch Machbaren und ist zu begrüssen. Weitere Reformen sind jedoch unabdingbar.
Tages-Anzeiger, 17. März 2017

Daniel Foppa

Nein, es ist keine Reform zur langfristigen Gesundung des Rentensystems, die der Nationalrat gestern verabschiedet hat. Trotzdem ist der Entscheid ein vernünftiger Zwischenschritt. Die Reform bringt die überfällige Angleichung des Rentenalters von Frau und Mann und die notwendige Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent. Der Preis dafür ist allerdings hoch: Die 70 Franken mehr AHV pro Monat für Neurentner sowie die Erhöhung der Ehepaarrenten führen zu Mehrkosten in Milliardenhöhe, die ab 2030 nur noch teilweise durch höhere Lohnbeiträge gedeckt sind.

Gesondert betrachtet, wären die Mehrkosten angesichts der demografischen Entwicklung nicht zu verantworten. Vor allem, weil die AHV-Erhöhung flächendeckend an alle Neurentner entrichtet wird – und nicht nur an jene, die darauf angewiesen sind. Eingebettet in das Gesamtpaket dieser umfassenden Reform, sind sie jedoch vertretbar. Sie sind, wenn man so will, der Preis der direkten Demokratie.

Der Realität geschuldet

Alle Rentenreformen dieses Jahrhunderts sind bisher gescheitert. Und ohne die Verbesserungen bei der AHV würde diese Vorlage an der Urne dasselbe Schicksal erleiden. Man mag dies unvernünftig, bedauerlich oder sonst was finden – allein, es entspricht der politischen Realität. Die Linke hat die Unternehmenssteuerreform III mit dem überzeichneten Argument gebodigt, der einfache Mann müsse für höhere Firmengewinne bezahlen. Mit einer ähnlichen Kampagne könnte jede Rentenreform versenkt werden, die Sparmassnahmen bloss mit einer Stärkung der zweiten Säule abfedern wollte. Der Vorsorgeausweis des Stimmbürgers, der von Jahr zu Jahr schlechtere Pensionskassenleistungen ausweist, würde zum schlagenden Argument für ein Nein.

Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns einer solchen Vorlage ist jedenfalls zu gross, als dass man es darauf ankommen lassen sollte. Mit jedem gescheiterten Durchgang und jeder Neukonzeption geht Zeit verloren, die man bei der Rentenreform nicht hat. Ein anhaltend zu hoher Umwandlungssatz in der zweiten Säule hält an der systemfremden Umverteilung von den arbeitenden Versicherten zu den Rentnern fest. Und ohne die Zusatzeinnahmen der Reform wäre die AHV um 2030 herum praktisch pleite.

Niemand ist so richtig glücklich

Unter dem Strich kommt am 24. September eine klassische Kompromissvorlage an die Urne: Niemand ist so richtig glücklich damit, aber dennoch verdient sie ein Ja. Diese Reform ist eine Absage an reine Ausbauvorlagen nach der blauäugigen Maxime, die reiche Schweiz verfüge über unendliche Mittel zur Rentenfinanzierung. Die Vorlage ist gleichzeitig eine Absage an eine rein versicherungsmathematische Betrachtung des Rentensystems und an ein Vabanque-Spiel, wonach das System erst mal an die Wand gefahren werden soll, um danach einschneidende Sparmassnahmen durchzusetzen.

Der Abstimmungsausgang ist derzeit völlig offen. Viel hängt davon ab, mit welcher Entschiedenheit die Gegner die Reform bekämpfen werden. Noch ist sich das Nein-Lager uneins. Denn auch hier wirkt die gescheiterte Steuerreform nach: Die Wirtschaftsverbände haben wenig Lust, sich erneut eine blutige Nase zu holen. Die Befürworter sind derweil eine heterogene Truppe, die vom linken SP-Flügel bis zur Lega reicht. Das vereinfacht eine stringente Kampagne nicht wirklich.

Kommt hinzu, dass der Reformdruck auf das Rentensystem angesichts der steigenden Lebenserwartung und der Überalterung auch nach einem Ja an der Urne anhalten wird. Mittelfristig ist eine Folgereform deshalb unumgänglich. Für den Moment aber sollten wir uns an das Machbare halten. Und unter Beweis stellen, dass das Wort «Rentenreform» in der Schweiz des 21. Jahrhunderts kein Widerspruch in sich selbst ist.

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