Daniel Foppa
Am Anfang war das Chaos. Als das Parlament am 16.November 1848 zur Wahl der ersten Regierung zusammentraf, wusste niemand, wie vorzugehen sei. Berichte sprachen von «tumultuarischen Debatten» und von Anträgen auf Verschiebung der Wahl, weil nicht alle Kantone vollständig repräsentiert waren. Trotzdem wählte man – und staunte nicht schlecht: So gingen 135 Stimmzettel ein, obwohl nur 110 ausgeteilt worden waren. Erst im zweiten Anlauf klappte es, und der Winterthurer Jonas Furrer wurde zum ersten Bundesrat und ersten Bundespräsidenten gewählt. Furrer jedoch erbat sich Bedenkzeit, denn er glaubte sich der Aufgabe nicht gewachsen. Zudem wollte er erst die Hauptstadtfrage geklärt wissen. Im Rennen waren Bern, Zürich und Luzern.
Furrer brachte die anderen Bundesräte auf den Geschmack. Keiner wollte die Wahl definitiv annehmen, wodurch sich die Regierung nicht konstituieren konnte. Erst auf ein Ultimatum des Parlaments hin nahmen die Gewählten die Wahl an, und am 21.November 1848 fand die feierliche Konstituierung statt. Ein paar Tage später wurde Bern zur Hauptstadt erkoren. Bei Furrer bedurfte es einer «Art moralischer Folter», dass er trotzdem im Amt blieb.
In den Gründerjahren war der Bundesrat ein geschlossener freisinniger Club. Die politische Strömung, die als Siegerin aus dem Sonderbundskrieg hervorgegangen war, regierte fast 50 Jahre im Alleingang. Von 1860 an versuchte die katholisch-konservative Opposition (die spätere CVP), einen Regierungssitz zu erringen. Der Freisinn hatte dafür erst Gehör, als die Opposition zunehmend das 1874 eingeführte fakultative Referendum für eine Blockade der freisinnigen Politik nutzte. 1891 wurde mit Josef Zemp (Luzern) der erste Katholisch-Konservative gewählt. Der Wahl vorausgegangen war eine Regierungskrise. Als das Volk die Vorlage für den Rückkauf der Zentralbahnaktien verwarf, trat der zuständige Bundesrat Emil Welti (Aargau) zurück. Die freisinnige Mehrheitspartei fing die Krise auf, indem sie der Opposition einen Bundesratssitz anbot.
Auch der erste liberale Bundesrat verdankt seine Wahl einem spektakulären Rücktritt. Aussenminister Arthur Hoff mann (St. Gallen) hatte 1917 versucht, zwischen den Kriegsparteien Deutschland und Russland einen Sonderfrieden auszuhandeln – was die Alliierten als Bruch der Schweizer Neutralität empfanden. Hoffmann musste zurücktreten, worauf der Liberale Gustave Ador (Genf) gewählt wurde, damals Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Als einer der wenigen Bundesräte erlangte er internationale Wirkung. Ador setzte sich für die Gründung des Völkerbunds mit Sitz in Genf ein und schaffte es, dass die Schweiz Mitglied wurde bei gleichzeitiger Garantie zur Wahrung ihrer Neutralität.
1929 wurde mit dem Berner Rudolf Minger der erste Vertreter aus den Reihen der bernischen Bauern-, Gewerbeund Bürgerpartei (der späteren SVP) gewählt. Der Landwirt wurde Militärminister und dank seiner Bauernschläue und ausgeprägtem politischem Spürsinn ein ungemein populärer Bundesrat. Minger bereitete die Armee auf den Zweiten Weltkrieg vor und sorgte mit einer Wehranleihe für das benötigte Geld für die Aufrüstung. Für die «Geistige Landesverteidigung» war der 1934 gewählte Innenminister Philipp Etter zuständig. Der Zuger blieb nicht weniger als 25 Jahre im Amt, weshalb er auch «Philipp Eternel» genannt wurde.
Erst 1943 wurde mit dem Zürcher Ernst Nobs der erste SP-Vertreter gewählt. Gründe für die Einbindung der Sozialdemokraten war die Angst vor einer Blockadepolitik mit Referenden sowie vor einer Radikalisierung der Arbeiterschaft. Nobs’Wahl beendete die fast 100-jährige FDP-Mehrheitin der Regierung. Prägend wurde das Jahr 1959. Mit Willy Spühler (Zürich) und Hans Peter Tschudi (Basel) nahmen erstmals zwei SP-Vertreter Einzug in den Bundesrat, und die Zauberformel war geboren. Fortan stellten FDP, CVP und SP je zwei Bundesräte, die SVP einen. Tschudi, der als Innenminister die Sozialwerke ausbaute, setzte sich als wilder Kandidat gegen den nominierten Schaffhauser Walter Bringolf durch. Herausragende Bundesräte waren in den Folgejahren der populäre Solothurner Sozialdemokrat Willi Ritschard (ebenfalls ein wilder Kandidat) und der rhetorisch brillante St.Galler CVP-Mann Kurt Furgler.
Für Aufsehen sorgte die Bundesratswahl vom 7.Dezember 1983. Die SP hatte als Nachfolgerin von Ritschard die Zürcherin Lilian Uchtenhagen nominiert. In einer «Nacht der langen Messer» einigten sich die Bürgerlichen jedoch auf Otto Stich. Der Solothurner nahm trotz intensivem Druck seiner Partei die Wahl an und ging als harter Finanzminister in die Geschichte ein. 1984 stellte die FDP mit der Zürcherin Elisabeth Kopp die erste Bundesrätin. Bereits 1989 reichte die Justizministerin ihren Rücktritt ein, weil sie ihren Mann vor einer Untersuchung gegen eine Firma gewarnt hatte, deren Verwaltungsrat er war. 1993 brüskierte das Parlament die SP erneut. Statt die offizielle Kandidatin Christiane Brunner wählte es Francis Matthey. Der Neuenburger trat das Amt auf Druck der Partei jedoch nicht an. Darauf wählte das Parlament die Genferin Ruth Dreifuss.
2003 bedeutete die Wahl von Christoph Blocher das Ende der Zauberformel. Als Vertreter der erstarkten SVP setzte sich der Zürcher gegen die CVP-Frau Ruth Metzler (Appenzell Innerrhoden) durch, die abgewählt wurde. Vier Jahre später wurde auch er abgewählt, und Eveline Widmer-Schlumpf übernahm sein Amt. Da die Bündnerin nicht offizielle Kandidatin war, schloss die SVP die Sektion Graubünden aus der Partei aus. Auch der Berner Samuel Schmid, 2000 als wilder Kandidat gewählt, verliess 2008 unter Druck die SVP. Zusammen mit Widmer-Schlumpf wechselte er zur neu gegründeten BDP.
Mit der Wahl von Guy Parmelin (Waadt) im Jahr 2015 fanden die Wirren um die SVP-Vertretung in der Regierung ihren Abschluss. Seither sind die Bundesratswahlen in geordneten Bahnen verlaufen. Als 2018 der Tessiner FDP-Mann Ignazio Cassis den linksfreisinnigen Didier Burkhalter ablöste, wurde damit die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat gestärkt. Mit der Wahl von Viola Amherd (CVP, Wallis) und Karin Keller-Sutter (FDP, St. Gallen) ändert sich an dieser Konstellation vorerst nichts. Sollten sich bei den Wahlen 2019 indes grössere Verschiebungen bei der Parteienstärke ergeben, wird der Ruf der Grünen nach einem Bundesratssitz lauter werden, am ehesten auf Kosten der CVP.