Daniel Foppa
Am Dienstag hat die FDP Genf Staatsrat Pierre Maudet als Bundesratskandidaten nominiert. Ob es der 39-Jährige auf das offizielle Ticket der FDP schafft, entscheidet die Fraktion am 1. September. Würde Maudet gewählt, wäre er erst der 13. Bundesrat seit 1848, der bei seiner Wahl noch nicht 40-jährig war. Unter den bisherigen, jung gewählten Bundesräten befinden sich markante und umstrittene Persönlichkeiten.
Der Gründervater
Ulrich Ochsenbein (1811–1890) war einer der wichtigsten Bundesräte in der Geschichte der Schweiz – zum Dank wurde er abgewählt. Der Berner Radikale führte vor seiner Wahl in die Landesregierung einen Freischarenzug nach Luzern an. Der bewaffnete Angriff misslang, machte Ochsenbein jedoch zum Volkshelden. 1848 gehörte der Berner zu den Gründervätern des Bundesstaats und wurde als 36-Jähriger Mitglied der ersten Landesregierung. Biograf Rolf Holenstein bezeichnet Ochsenbein als «Erfinder der modernen Schweiz» und betont dessen Verdienste um die Neutralitätspolitik und das föderalistische Zweikammersystem nach amerikanischem Vorbild. Nach seiner Wahl mässigte sich der Berner und schwenkte ins konservative Lager um. Dies nahmen ihm seine Anhänger übel, und Ochsenbein ging schliesslich auch als erster Bundesrat in die Geschichte ein, der nicht wiedergewählt wurde.
Der Draufgänger
Als Nachfolger des abgewählten Ulrich Ochsenbein zog 1854 der 34-jährige Radikale Jakob Stämpfli (1820–1879) in die Landesregierung ein. Der Berner Bauernsohn galt als radikaler Draufgänger und Zentralist, sein Ideal war ein Einheitsstaat mit Einkammerparlament. Stämpfli wurde zum grossen Gegenspieler des Zürcher Nationalrats Alfred Escher: Der Berner forderte den Staatsbau der Eisenbahnen, Escher konnte schliesslich den Privatbau durchsetzen. Stämpfli propagierte die offensive Unterstützung der revolutionären Bewegungen in Europa, der Zürcher stellte sich auf den Standpunkt strikter Neutralität. Aussenminister Stämpfli sah die Schweizer Radikalen in der Rolle der Verteidiger der Demokratie in einem reaktionären Europa und trat gegenüber dem König von Preussen derart fordernd auf, dass eine kriegerische Eskalation drohte. Die Realpolitiker im Bundeshaus bremsten den Berner Hitzkopf schliesslich aus, und Stämpfli trat 1863 zurück.
Der Jüngste
Der jüngste Bundesrat aller Zeiten war Numa Droz (1844–1899). Der liberal-radikale Ständeratspräsident aus Neuenburg zählte lediglich 31 Jahre, als ihn die Bundesversammlung 1875 zum Bundesrat wählte. Schon damals herrschte Rivalität innerhalb der Westschweizer Liberalen: Die Waadtländer waren ob Droz’ Kandidatur nicht erfreut und sorgten dafür, dass ihr Mitglied Charles Estoppey gewählt wurde. Dieser lehnte jedoch ab, und Droz schaffte die Wahl im zweiten Wahlgang knapp. Die Waadt war damit das erste Mal seit 1848 nicht im Bundesrat vertreten. So jung Droz gewählt wurde, so kritisch stand er Neuerungen gegenüber. Als 1891 auf Bestreben des Parlaments die Volksinitiative eingeführt wurde, warnte Droz, dies sei der Übergang von der Demokratie zur «Demagogie». Nach seinem Rücktritt versuchte der Neuenburger mit allen Mitteln, eines der wichtigsten Geschäfte seiner Ex-Bundesratskollegen, die Verstaatlichung der Eisenbahnen, zu verhindern.
Der Aussenpolitiker
Im 20. Jahrhundert waren nur noch drei Bundesratsmitglieder bei ihrer Wahl jünger als 40 Jahre. Der Tessiner CVP-Vertreter Giuseppe Motta (1871–1940) wurde 1911 als 39-Jähriger gewählt, hatte bei seinem Amtsantritt die Vierzig aber bereits überschritten. Motta verharrte nicht weniger als 28 Jahre im Amt, was der drittlängsten Amtszeit eines Bundesrats entspricht. Der Tessiner blieb vor allem als Aussenpolitiker in Erinnerung. 1920 erreichte Motta, dass der Völkerbund die Schweizer Neutralität als vereinbar mit seiner Charta erklärte. Darauf votierten die Stimmbürger für den Beitritt zum Völkerbund. Dank Mottas Einsatz zählte die Schweiz zu den drei ersten Staaten, die die verbindliche Rechtsprechung des ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag anerkannten. Motta blieb Aussenminister, bis er im Kriegsjahr 1940 an den Folgen eines Schlaganfalls im Amt verstarb. Der Tessiner hatte sich um eine neutrale Beziehung zu den faschistischen Nachbarländern bemüht – und eine gewisse Bewunderung für Diktator Benito Mussolini gehegt.
Der Umstrittene
Als umstrittener Bundesrat ging Marcel Pilet-Golaz (1889–1958) in die Geschichte ein. Der Waadtländer Freisinnige wurde 1928 als 38-Jähriger gewählt. Pilet blieb vor allem in Erinnerung, weil er als Bundespräsident am 25. Juni 1940 kurz nach der Kapitulation Frankreichs eine Rede an die Nation hielt, die als anpasserisch gegenüber dem Deutschen Reich empfunden wurde. Als Pilet kurz darauf die Führer der nationalsozialistisch orientierten Nationalen Bewegung Schweiz empfing, wurden heftige Kritik und Rücktrittsforderungen laut. Wie der Politologe Michael Hermann in seinem Buch «Was die Schweiz zusammenhält» (2016) darlegt, hatte jedoch CVP-Bundesrat Philipp Etter die Rede von Pilet an verschiedenen Stellen im Sinne einer Anpassung an den totalitären Zeitgeist verschärft. Trotzdem blieb der Name Pilet-Golaz als Inbegriff für Defätismus und Anpassertum im kollektiven Gedächtnis haften.
Die Jüngste
34-jährig war Ruth Metzler (Jahrgang 1964), als die Finanzdirektorin von Appenzell Innerrhoden 1999 Bundesrätin wurde. Von Beginn weg stand die jüngste je gewählte Bundesrätin unter scharfer Beobachtung. CVP-Frau Metzler wurde Innenministerin und war für das Asyldossier zuständig, als in der Folge des Kosovo-Kriegs die Asylzahlen stark anstiegen. Sie bot Hand zur Verschärfung des Asylrechts, was ihr die Linke übel nahm, während die Rechte schärfere Massnahmen forderte. Bei den Nationalratswahlen 2003 gewann die SVP elf Sitze und forderte ultimativ einen zweiten Bundesratssitz für Christoph Blocher. Aufgrund der Parteienstärke zeichnete sich ab, dass dieser Sitz zulasten eines der beiden CVP-Bundesratsmitglieder gehen würde. Da Metzler 1999 kurz vor Joseph Deiss gewählt worden war, stand sie am 10. Dezember 2003 vor ihrem Parteikollegen zur Wiederwahl. Blocher griff an, und Metzler unterlag mit fünf Stimmen Differenz. Sie war nach Ulrich Ochsenbein (1854) und Jean-Jacques Challet-Venel (1872) erst das dritte Bundesratsmitglied, das nicht wiedergewählt wurde.
Der Taktiker
Als einziger Bundesrat im 21. Jahrhundert war bisher SP-Mann Alain Berset (Jahrgang 1972) bei seiner Wahl noch nicht 40-jährig. Der 2011 gewählte Freiburger steht derzeit vor der wichtigsten Abstimmung seiner politischen Karriere: Sagt das Stimmvolk am 24. September Ja zur Altersvorsorge 2020, wäre Berset der erste Sozialminister seit über 20 Jahren, der eine Rentenreform zustande gebracht hat. In wenigen Wochen wird sich weisen, ob Bersets Taktik, die erste und die zweite Säule in einer verknüpften Vorlage zu reformieren, aufgeht.
«Eigentlich ist es erstaunlich, dass in der Schweiz nicht häufiger Vertreter der jüngeren Generation in den Bundesrat gewählt werden», sagt der Historiker Urs Altermatt und verweist auf Politiker wie den Französischen Präsidenten Emmanuel Macron (39) oder Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz (30). Gleichzeitig zeigten jedoch Beispiele wie Donald Trump (71) und Angela Merkel (63), dass es keinen klaren Trend zu immer jüngeren Politikern gebe. Vielmehr sagt Altermatt: «Beim Alter scheint inzwischen fast alles möglich – nach oben, wie nach unten.»
Quelle: Urs Altermatt: Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon. Zürich und München 1991
Die vollständige Liste
Alter bei der Wahl Amtszeit
Ulrich Ochsenbein (FDP/BE) 36 1848–1854
Jakob Stämpfli (FDP/BE) 34 1855–1863
Constant Fornerod (FDP/VD) 36 1855–1867
Jakob Dubs (FDP/ZH) 39 1861–1872
Paul Ceresole (FDP/VD) 37 1870–1875
Eugène Borel (FDP/NE) 37 1873–1875
Numa Droz (FDP/NE) 31 1876–1892
Eugène Ruffy (FDP/VD) 39 1894–1899
Giuseppe Motta (CVP/TI) 39 1912–1940
Marcel Pilet-Golaz (FDP/VD) 38 1929–1944
Ruth Metzler (CVP/AI) 34 1999–2003
Alain Berset (SP/FR) 39 seit 2012