DANIEL FOPPA

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Das bittere Ende des braven Soldaten Schmid

Auch wenn Samuel Schmids Bilanz besser ausfällt, als sein Abgang vermuten lässt: In Erinnerung bleiben wird der Berner als tragische Figur.
Tages-Anzeiger, 13. November 2008

Daniel Foppa

Wenn einer weiss, dass Politik das langsame Bohren dicker Bretter ist, dann Samuel Schmid. Obwohl kein geborener Reformer, hielt es der Seeländer acht Jahre lang an der Spitze eines Departements und einer Institution aus, die den grössten Umbruch ihrer Geschichte erlebten: Während seiner Ära wurden im VBS 1700 Stellen abgebaut und die Armee um fast 200 000 Mann reduziert. Es gehört zur Tragik Schmids, dass er diesen Schrumpfungsprozess nie als Erfolg verkaufen konnte. Wer Zeughäuser schliesst, Generäle frühpensioniert und Traditionsverbände zerschlägt, schafft sich Feinde.

Begonnen hat alles ganz anders. Schmid wird am 6. Dezember 2000 mit 121 Stimmen ins Amt gewählt. Das Parlament zieht den «Anti-Blocher» den offiziellen SVP-Kandidaten Rita Fuhrer und Roland Eberle vor. Der Berner übernimmt von Adolf Ogi das Reformprojekt Armee XXI sowie eine brisante Abstimmungsvorlage. Kaum im Amt, muss er für die Militärgesetzrevision kämpfen. Sie ermöglicht bewaffnete Auslandeinsätze und ist in den Augen von Traditionalisten und Pazifisten ein Bruch mit der Neutralität. Schmid verteidigt die Vorlage gegen die SVP und wird als Landesverräter beschimpft. Die Stimmung ist derart aufgeheizt, dass er Polizeischutz braucht. Am 10. Juni 2001 gewinnt Schmid die Zitterpartie: Das Volk sagt mit 51 Prozent denkbar knapp Ja.

Auch nach der Abstimmung dauert der Widerstand gegen die Reform an. Schmid ist zu Zugeständnissen bereit, hält jedoch an der Reduktion der Bestände und der kürzeren Dienstzeit fest. Traditionalisten laufen Sturm und warnen vor einer Armee nach Nato-Vorbild. Schmid muss sich erneut einer Abstimmung stellen – und gewinnt überraschend klar: 76 Prozent sagen am 18. Mai 2003 Ja zur Armee XXI. Es ist Schmids grösster Triumph.

Brandmarke «halber Bundesrat»

Nach dem Sieg häufen sich die Probleme. Das Armeebudget wird um 700 Millionen gekürzt, die Logistik funktioniert nicht, und es mangelt an Instruktoren. Schmid hält das Schiff so gut es geht auf Kurs. Sein ausgeprägtes Vertrauen in die Untergebenen führt dazu, dass er oft erst eingreift, wenn es bereits zu Problemen gekommen ist. Gleichzeitig werden die Schwierigkeiten, die bei einer derart umfassenden Armeereform unvermeidlich sind, von den Parteien jeweils umgehend für ihre Zwecke ausgeschlachtet.

Parallel dazu gerät Schmid parteiintern immer ernsthafter in Bedrängnis. Blochers Ausspruch vom «halben Bundesrat» bleibt an ihm haften. 2003 wird Blocher Bundesrat. Schmid, der bereits über einen Departementswechsel nachgedacht hat, entschliesst sich zu bleiben: Er will die Armee nicht seinem Widersacher überlassen.

Der bodenständige Schmid findet einen guten Draht zur Truppe und zur Bevölkerung – im politischen Alltag hingegen wird die schwindende Hausmacht zur Hypothek. 2005 brüskiert die SVP ihren Bundesrat und versenkt zusammen mit der SP erstmals in der Geschichte der Schweiz ein Rüstungsprogramm. Schmid muss als Konzession die für Auslandeinsätze gedachten Transportflugzeuge opfern, um eine abgespeckte Version zu retten. Auch der Entwicklungsschritt 08/11 wird erst im zweiten Durchgang vom Parlament bewilligt. In epischen Ratsdebatten verteidigt Schmid die Reform.

Dann kommt der 12. Juli 2007. Mit dem Tod von sechs Soldaten an der Jungfrau setzt eine Kaskade dramatischer Ereignisse ein, die die Armee in den Grundfesten erschüttert. Im November erschiesst ein Soldat in Zürich eine Passantin – und Schmidmuss die Heimgabe der Armeewaffe verteidigen. 2008 überschlagen sich die Ereignisse: Zunächst bricht Schmid endgültig mit der SVP. In einer für den Taktiker typischen Art wirkt er bei der Gründung der BDP hinter den Kulissen mit, laviert aber zunächst gegen aussen.

Schliesslich steht Schmid definitiv ohne Hausmacht da. Aus dem Gestalter ist ein Getriebener geworden, dem aus jedem Fehler ein Strick gedreht wird. Er nimmt Schmähungen in Kauf, wie es noch nie ein Bundesrat erfahren hat. Sein Hauptziel für 2008, die Schaffung eines Sicherheitsdepartements, muss er begraben. Stattdessen zwingt ihn die Affäre Nef in die Knie.

Doch dann kommt dem Bedrängten die Finanzkrise zu Hilfe: Plötzlich steht ein anderes Thema im Fokus. Und auch der Druck der SVP lässt nach. Die Partei kann sich nicht auf einen Bundesratskandidaten einigen und sagt nun doch Ja zum Rüstungskredit. Taktisch klug nutzt Schmid den Moment für die Rücktrittsankündigung – noch bevor die Geschäftsprüfungskommission neue Details zur Affäre Nef enthüllt und bevor er sich der Wahl zum Vizepräsidenten hätte stellen müssen. Den Entscheid fällte Schmid in der Nacht auf gestern zusammen mit seiner Frau. Verena Schmid tolerierte es spätestens nach der Gallenblasenoperation des 61-Jährigen nicht mehr, dass dieser als Bundesrat seine Gesundheit aufs Spiel setzt.

Alle Volksabstimmungen gewonnen

Schmid wird als tragische Figur in Erinnerung bleiben. Zwar hat er alle Volksabstimmungen gewonnen, die Armee verkleinert und modernisiert. Gleichzeitig schossen sich aber Traditionalisten, Armeegegner und Heckenschützen aus den eigenen Reihen auf ihn ein. Sein Bruch mit der eigenen Partei ist einmalig in der Geschichte des Bundesrats. Wenngleich Schmid nicht für alle Probleme einer Armee im Umbruch verantwortlich gemacht werden kann, nährt sein Versagen in der Causa Nef doch den Verdacht, dass er auch anderswo zu wenig genau hingesehen hat – und dass sich gewisse Probleme bei der Umsetzung der Reformen hätten vermeiden lassen.

In den grossen Zügen hat Schmid jedoch nicht versagt. Er kämpfte für eine Armee, die international kooperiert und sich auf moderne Bedrohungsszenarien ausrichtet. Er tat dies im Wissen, dass sein Handlungsspielraum begrenzt und der Widerstand gross sein würde. Bis zuletzt setzte er auf die «verführerische Kraft der Vernunft». Und unterschätzte die Entschlossenheit des Parlaments, das in seinem Fall nicht mehr bereit war, zwischen Sach- und Personalpolitik zu trennen.

 

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